Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
an die Decke. Ein junges Mädchen hockte weinend auf einem Stuhl. Es roch wie üblich nach Desinfektionsmitteln und Bodenpolitur. Zwei Rettungssanitäter, die er ebenfalls kannte, schoben eine leere Krankentrage an ihm vorbei.
Er eilte zur Rezeption, hinter der einige gehetzt wirkende Mitarbeiter telefonierten, Formulare durchlasen oder auf Tastaturen hämmerten. Ein Pfleger schrieb etwas auf eine große Tafel, die an der Wand hing. Grace beugte sich über die Theke und versuchte verzweifelt, Aufmerksamkeit zu erregen.
Nach einer qualvollen Minute drehte sich der Krankenpfleger zu ihm um.
Grace zeigte seinen Ausweis vor, obwohl es eine persönliche Angelegenheit war. »Ich glaube, Cleo Morey wurde gerade hier aufgenommen.«
»Cleo Morey?« Der Mann schaute auf eine Liste und dann auf die Wandtafel. »Ja, die ist hier.«
»Wo finde ich sie?«
»Auf der Entbindungsstation. Kennen Sie sich aus?«
»Ein bisschen.«
»Thomas Kent Tower.« Er deutete in die betreffende Richtung. »Da entlang und den Schildern folgen. Dann kommen Sie zum Aufzug.«
Grace bedankte sich und lief den Flur entlang, bog links und rechts ab, kam an einem Schild mit dem Hinweis Entbindungsstation vorbei. Er blieb kurz stehen und holte sein Handy aus der Tasche. Sein Herz lag schwer wie Blei in seiner Brust, die Schuhe schienen am Boden zu kleben. Es war Viertel nach neun. Er rief seinen Chef ACC Rigg an, um ihn darauf vorzubereiten, dass er zu spät zur Besprechung kommen würde. Dessen Sekretärin meldete sich und erklärte, er solle sich keine Sorgen machen, der ACC habe am Morgen keine weiteren Termine.
Er lief weiter zum Aufzug, der zum Glück gerade offen stand.
Nach einer quälend langsamen Fahrt stieg er aus und öffnete die Tür mit der Aufschrift Entbindungsstation. Er gelangte in einen hellen Empfangsbereich mit rosa und lilafarbenen Stühlen. Von hier aus hatte man einen schönen Blick auf die Dächer von Kemp Town und das Meer.
Eine freundlich wirkende Frau im blauen Kittel saß hinter der Empfangstheke. »Ach ja, Detective Superintendent Grace, man hat mich schon angerufen.« Sie deutete einen gelb gestrichenen Flur entlang. »Zimmer sieben. Vierte Tür links.«
Grace war zu aufgewühlt, um mehr als ein Dankeschön zu murmeln.
10
DER VERKEHR auf der Portland Road staute sich jetzt in beide Richtungen. Phil Davidson zog Chirurgenhandschuhe an und wappnete sich innerlich für die bevorstehende Aufgabe.
Vor ihnen stand ein Lastwagen mit offener Fahrertür. Mehrere Menschen hatten sich am Heck versammelt. Einer machte Fotos mit dem Handy. Auf der anderen Straßenseite war ein schwarzes Audi Cabrio in ein Café gerast. Auch hier stand die Fahrertür offen, und daneben sah Vicky eine Frau, die wie betäubt vor sich hin starrte. Es waren noch keine anderen Einsatzfahrzeuge vor Ort.
Vicky steuerte den Krankenwagen an der Autoschlange vorbei, wobei sie auf der falschen Straßenseite fuhr und konzentriert nach Fahrzeugen Ausschau hielt, die sie vielleicht überhört hatten. Dann bremste sie ab, schaltete die Sirene aus und hielt vor dem Lastwagen an. Ihr Magen verkrampfte sich, ihr Mund war plötzlich trocken.
Die Digitalanzeige stand auf sechs Minuten, zwanzig Sekunden – so lange hatten sie gebraucht, um den Einsatzort zu erreichen. Also locker innerhalb des Zeitlimits von acht Minuten. Wenigstens etwas. Phil Davidson schaltete das Blaulicht auf Standbetrieb. Bevor sie aus dem Wagen sprangen, warfen sie einen kurzen Blick auf die Szene, die sich ihnen bot.
Die Frau neben dem Audi, die welliges blondes Haar hatte und einen eleganten Regenmantel trug, hielt ein Handy ein Stück von ihrem Kopf entfernt, als wollte sie einen Ball werfen. Um sie herum lagen zerbrochene und umgekippte Tische und Stühle, doch waren dort auf den ersten Blick keine Verletzten zu sehen.
Bis auf einen jungen Mann in Regenjacke, der Fotos mit seinem Handy machte, schien niemand von der Verwüstung Notiz zu nehmen. Alles konzentrierte sich auf die Hinterräder des Lkw.
Die beiden Rettungssanitäter stiegen aus und schauten sich sorgsam um. Vorbeifahrende Autos waren gefährlich, doch der Verkehr war definitiv zum Stehen gekommen.
Ein kleiner, stämmiger Mann von Mitte vierzig eilte auf sie zu. Sein bleiches Gesicht, die weit aufgerissenen Augen und die bebende Stimme verrieten Vicky, dass er unter Schock stand.
»Unter meinem Lkw«, sagte er. »Er ist unter meinem Lkw.« Er drehte sich um und zeigte mit der Hand.
Ein Stück weiter entdeckte Vicky
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