Riley Das Mädchen im Licht
durchschnittlich, vorlaut, lästig.
»Sind diese Aufnahmen bearbeitet? Sie wissen schon, mit einem Programm wie Photoshop oder so?«, fragte ich, und meine Stimme klang hoch und kreischend. Meine Mom hätte das als meine »Lügnerstimme« bezeichnet. Die Stimme, die ich benutzte, wenn der letzte Keks verschwunden war und ich unter Verdacht stand, oder wenn im Haus Unordnung herrschte und ich die Einzige war, die zu Hause gewesen war. Und ich glaube nicht, dass die Mitglieder des großen Rats das nicht bemerkt hatten.
Ich ließ den Kopf hängen und wendete den Blick von der Leinwand ab. Mir war klar, dass ich nichts mehr tun konnte. Es gab nichts mehr zu sagen. Jetzt war alles vorbei, und ich konnte mich nur noch zurücklehnen und warten, um zu erfahren, was nun mit mir geschehen würde.
ACHT
E s war noch nicht vorbei.
Eigentlich sollte es doch nun vorbei sein. Ich wünschte das Ende herbei.
Aber nein . Wir waren noch weit entfernt davon.
Ich wartete auf das Urteil, als dieser kratzige, knisternde Sound von an allen vier Wänden ertönte, und ich, obwohl ich das eigentlich nicht sehen wollte, auf die Leinwand schaute. Als ich einen Blick über meine Schulter warf, sah ich, wie sich die Bilder plötzlich veränderten. Alles wurde trüb und verschleiert, und das Licht verwandelte sich in ein matt-gelbes Glühen, das ich sofort wiedererkannte. Mein Magen ballte sich wie eine Faust zusammen, und mir war bewusst, dass jetzt alles nur noch schlimmer werden konnte, egal, wie schrecklich mir das Ganze noch vor wenigen Minuten bereits erschienen war.
Sie hatten mich auch im Sommerland erwischt.
Diese mystische Dimension zwischen der Erdebene und derjenigen, wo ich mich … na ja, sagen wir, wo ich mich viel länger aufgehalten hatte, als es mir zugestanden hätte.
Also sah ich mir die Aufnahmen an.
Und sah, was sie auch sahen.
Mich . Ich war gerade gestorben, hatte jedoch immer noch Schabernack im Sinn, als würde mein frühes Ableben nicht das Geringste ändern. Als würde es mich in keiner Weise behindern.
Nichts war anders geworden.
Wenn überhaupt, dann hatte mich mein Tod sogar noch schlimmer gemacht. Er verschaffte mir Zugang zu Dingen, von denen ich bisher nur geträumt hatte.
Es war, als hätte ich nicht nur für das Leben meiner Schwester einen Backstagepass, sondern auch für das Leben aller anderen Menschen. Also spionierte ich bei früheren Nachbarn und Freunden herum, bei ehemaligen Klassenkameraden, bei beliebten und weniger beliebten Lehrern, selbst bei einigen berühmten Persönlichkeiten – und nützte dabei meine Unsichtbarkeit auf Teufel komm raus aus. Und genau wie zu meinen Lebzeiten verbrachte ich den Großteil meiner Zeit damit, meine Schwester auszuspionieren, wobei ich keine Ahnung hatte, dass ich dabei selbst beobachtet wurde.
Meine gesamte Existenz, meine Geburt, mein Tod und was danach kam, war dokumentiert und genau betrachtet worden, und jetzt erwartete man von mir, auf irgendeine Weise zu erklären (wenn nicht sogar zu rechtfertigen), warum ich so verdammt viel Zeit verschwendet hatte.
Und ich hatte, ehrlich gesagt, keinen blassen Schimmer, was ich zu meiner Verteidigung vorbringen sollte.
Von allen in dem gesamten Raum war ich am meisten überrascht.
Und als wir zu der Stelle kamen, an der ich mich auf meinem Weg zur Schule in den Aussichtsraum schlich, sank ich auf der kalten, harten Bühne zusammen, ohne mir vorher einen bequemen Stuhl zu manifestieren. Beklommen wartete ich darauf, dass diese schreckliche Vorstellung endlich zu Ende ging, damit sie dann entscheiden konnten, welcher Ort der richtige für mich war.
Als die Bilder von der Leinwand verschwanden, war es ganz still in dem Raum, und ich wusste, dass ich den ersten Schritt machen musste.
»Nun, das Filmmaterial spricht für sich, oder?« Ich versuchte zu lächeln, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das zu salopp und falsch wirkte. Also versuchte ich, die Augen weit aufzureißen und traurig auszusehen. Bei meinem Dad verfehlte das nie seine Wirkung, aber hier … Immer noch nichts. Sie saßen einfach nur da, stumm und regungslos, und mir war klar, dass ich wesentlich mehr zu Stande bringen musste.
So leicht würden sie mich nicht davonkommen lassen.
Also räusperte ich mich, starrte auf meine Schuhe und sagte: »Okay, vielleicht habe ich mich manchmal wie eine freche Göre verhalten.« Ich zuckte die Schultern, bemühte mich, ruhig und entspannt zu wirken. »Aber das war noch nicht als Sünde
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