Riley - Die Geisterjägerin - Noël, A: Riley - Die Geisterjägerin - N.N. 4 (nach "Radiance" - The Riley Series)
schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass er zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort – in einem moderneren Zeitalter und in einer moderneren Umgebung – wahrscheinlich auf den Titelseiten vieler Magazine und auf der Kinoleinwand zu sehen wäre. Im alten Rom verdankte er seinen Ruhm jedoch ausschließlich den grausigen Taten, die er mit seinem Schwert vollbracht hatte.
Ich spürte, dass mir nur wenige Sekunden blieben, bevor
er seine Übungen wieder aufnehmen würde. Gerade wollte ich ihn ansprechen, als er sich zu mir umdrehte. Seine topasfarbenen Augen verwirrten mich so sehr, dass es mir meine vorbereitete Rede verschlug und ich stattdessen nur ein peinliches Gestammel hervorbrachte. »Äh, hi. Entschuldige, wenn ich dich störe.« In einem schwachen Versuch, freundlich zu erscheinen, fuhr ich mit der Hand durch die Luft und winkte ihm zu. »Bist du zufällig Theocoles … äh, du weißt schon … der Typ, den man Säule der Verdammnis nennt?«
Er schnaubte verächtlich, räusperte sich und besaß die Frechheit, mir einen fetten Schleimklumpen entgegenzuspucken.
Der glibberige Brocken landete genau an der Stelle, wo ich noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte, bevor ich mich, nach Luft schnappend, in Sicherheit brachte.
Ich schaute zwischen ihm und dem ekligen Glibber hin und her. »Was fällt dir ein?«, rief ich. Ich schüttelte den Kopf und spürte, wie meine Wangen sich röteten. »Ich meine, ernsthaft! Ich habe zwar kapiert, dass du aus einem anderen, viel barbarischeren Zeitalter stammst, und ich nehme an, dass wir wohl eine unterschiedliche Auffassung von Manieren haben, aber du musst doch zugeben, dass das ausgesprochen unhöflich war!«
Er bückte sich, hob eine Hand voll Erde auf und rieb sich damit die Handflächen ab, bevor er sein Schwert wieder aufnahm und auch den Griff damit einrieb. Er
benahm sich, als würde er mich nicht sehen. So, als hätte er mich nicht soeben auf die schlimmste Art und Weise beleidigt.
Ich wollte ihm gerade richtig die Meinung sagen, als ich hinter mir eine sanfte Stimme hörte. »Ich befürchte, er kann dich nicht hören.«
Ich drehte mich um und sah das Mädchen von der Balustrade vor mir.
»Er kann dich auch nicht sehen. Also nimm es ihm bitte nicht übel.« Sie sah zwischen mir und dem Gladiator hin und her. »Theocoles sieht nur, was er sehen will. Du und ich sind unsichtbar für ihn.«
Ich runzelte die Stirn, warf ihm einen finsteren Blick zu und wandte mich dann wieder an das Mädchen. »Anscheinend bin ich hier für jeden unsichtbar, nur für dich nicht. Wie kommt das?«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie eingehend, wobei ich feststellen musste, dass ihre Nähe den Unterschied zwischen uns beiden nur noch verstärkte. Und obwohl ich mich bemühte, mich nicht klein und unbedeutend und in ihrer Gegenwart vollkommen unterlegen zu fühlen, wollte mir das nicht so recht gelingen.
Sie war groß – ich war winzig.
Sie war hübsch – ich musste mich damit zufriedengeben, niedlich auszusehen.
Sie war wohl proportioniert und mädchenhaft – ich war dünn, beinahe mager und einfach viel zu klein.
Ihre Kleidung war zwar total altmodisch, dennoch musste ich zugeben, dass ihr diese wunderschöne rote Robe ausgezeichnet stand.
Ich konnte es nicht leugnen – sie stellte mich auf jede nur erdenkliche Weise total in den Schatten. Sie war ein strahlender Stern, während ich nur ein winziger Planet war, so unwichtig, dass er noch nicht einmal einen Namen hatte.
Ihre melodiöse Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Leider sind alle, die du hier siehst, im Jenseits ebenso versklavt, wie sie es in ihrem Leben vor dem Tod waren.« Sie hielt inne und verzog ihre perfekt geformten, rosafarbenen Lippen. »Sie weigern sich, loszulassen und weiterzuziehen.«
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Damit eröffnete sie mir nichts Neues. Das war das gleiche alte Lied – eine Situation, die mir nur allzu vertraut war. Alle Geister, die ich bisher kennen gelernt hatte, waren in ihrem Leben versklavt gewesen und hatten sich dagegen gewehrt, ihre Vergangenheit ruhen zu lassen – und alle hatten behauptet, dass sie eine Reihe sehr guter Gründe für ihren Entschluss, noch länger hier zu verweilen, hätten. Ähnlich wie ich auch, als ich auf der Erdebene herumspukte.
»Und du?«, fragte ich. So schnell ließ ich nicht locker. »Warum bist du immer noch hier? Warum bist du nicht weitergezogen?« Ich wartete auf ihre Antwort, aber sie
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