Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
Jonathan nur einmal benutzt hatte. Einen Regenmantel legte er auch noch dazu.
Ohne Bart wirkte Reeves blasser. »Tom, warten Sie nicht, ich komme schon klar. Wie soll ich Ihnen danken? Sie haben mir das Leben gerettet.«
Was nicht ganz stimmte, denn daß die Italiener Minot mitten auf dem Gehweg abgeknallt hätten, war wohl kaum anzunehmen. »Wenn ich nichts von Ihnen höre«, sagte er lächelnd, »nehme ich an, es ist alles in Ordnung.«
[378] »Okay, Tom.« Er winkte und verschwand durch die Glastür.
Tom ging zu seinem Wagen und fuhr nach Hause. Er war unglücklich und todtraurig, hatte aber keine Lust, unter Leute zu gehen, um sich aufzuheitern; er wollte weder die Grais schon wieder sehen noch die Cleggs. Nicht einmal auf einen Film in Paris hatte er Lust. Gegen sieben würde er Héloïse anrufen. Vielleicht war sie ja noch nicht in die Schweiz abgereist. Falls doch, hatten ihre Eltern sicher die Telefonnummer des Chalets oder wußten, wie sie zu erreichen war. So etwas vergaß Héloïse nie: Wenn sie verreiste, hinterließ sie stets eine Nummer oder Adresse.
Natürlich könnte er auch Besuch von der Polizei bekommen, dann brauchte er gar nicht mehr zu versuchen, sich innerlich wieder aufzurichten. Was sollte er ihnen sagen? Daß er gestern den ganzen Abend zu Hause gewesen sei? Tom mußte lachen, ein befreiendes Lachen. Wenn möglich, sollte er allerdings zuerst herausfinden, was Simone ausgesagt hatte.
Aber die Polizei kam nicht, und Tom versuchte auch nicht, mit Simone zu sprechen. Wie üblich fürchtete er, die Polizei sei gerade damit beschäftigt, einen Haufen Beweise und Zeugenaussagen zu sammeln, um ihn dann damit zu konfrontieren. Er kaufte fürs Abendessen ein, spielte als Fingerübung ein paar Tonleitern auf dem Cembalo und schrieb Madame Annette an die Adresse ihrer Schwester in Lyon ein paar freundliche Zeilen:
Meine liebe Madame Annette,
Sie fehlen sehr in Belle Ombre, aber ich hoffe, Sie [379] entspannen sich und genießen diese schönen Frühsommertage. Hier ist alles in Ordnung. Ich rufe demnächst abends mal an, um zu hören, wie es Ihnen geht. Alles Gute und herzliche Grüße,
Ihr Tom
Der Pariser Sender meldete »eine Schießerei« in Fontainebleau mit drei Toten, nannte aber keine Namen. Tom holte sich die Abendzeitung in Villeperce. Der France-Soir vom Dienstag brachte eine kurze Spalte darüber: Ein Jonathan Trevanny aus Fontainebleau war erschossen worden, in seinem Haus hatte man zudem zwei Italiener tot aufgefunden. Toms Blick glitt flüchtig über die Namen, als wolle er sie sich gar nicht merken, dabei würde er sie sicher für lange Zeit nicht vergessen können: Alfiori und Ponti. Wie Madame Simone Trevanny der Polizei gegenüber ausgesagt hatte, waren die Italiener aus ihr unbekannten Gründen in das Haus eingedrungen. Sie hatten an der Tür geklingelt und waren dann hereingestürmt. Ein Freund, dessen Namen Madame Trevanny nicht nannte, hatte ihrem Mann geholfen und ihn mit ihr und dem kleinen Sohn zum Krankenhaus von Fontainebleau gefahren. Dort hatte man nur noch den Tod ihres Mannes feststellen können.
»Geholfen« war gut, grinste Tom, angesichts von zwei toten Mafiosi mit zerschmetterten Schädeln im Haus der Trevannys. Ganz geschickt mit dem Hammer, jener Freund der Trevannys, und womöglich auch Monsieur Trevanny, wenn man bedachte, daß sie insgesamt vier mit Pistolen bewaffnete Männer gegen sich gehabt hatten. [380] Allmählich entspannte er sich und mußte sogar lachen, und wenn ein Anflug von Hysterie in seinem Lachen mitschwang, wer wollte ihm das verdenken? Weitere Einzelheiten der Ermittlung würde er aus den Zeitungen erfahren – oder direkt von der Polizei, die sich unmittelbar an Simone und vielleicht auch an ihn wenden würde. Aber Madame Simone schien entschlossen, die Ehre ihres Mannes zu verteidigen und ihren hübschen Schweizer Notgroschen zu schützen, sonst hätte sie denen gewiß schon ein bißchen mehr erzählt. Sie hätte seinen Namen nennen und den Verdacht erwähnen können, den sie gegen ihn hegte. Die Zeitungen hätten schreiben können, Madame Trevanny habe der Polizei zugesagt, weitere Einzelheiten bei einer späteren Aussage mitzuteilen. Doch das hatte sie offenbar nicht getan.
Die Trauerfeier für Jonathan Trevanny sollte am Mittwoch, den 17. Mai, nachmittags um drei in Saint-Louis stattfinden. An diesem Tag wollte Tom schon hingehen, fand dann jedoch, das sei für Simone genau das Falsche. Außerdem waren Beerdigungen für
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