Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund
die Männer von der Mafia es am Abend noch einmal versuchen, dann hatte er die großkalibrige italienische Pistole plus das Gewehr und die Luger, dazu einen völlig erschöpften Reeves anstelle von Jonathan. Aber heute abend würden sie nicht kommen. Wahrscheinlich würden sie versuchen, Fontainebleau so weit wie möglich hinter sich zu lassen. Hoffentlich hatte er wenigstens den Fahrer getroffen und schwer verwundet.
Am nächsten Morgen ließ Tom seinen Gast ausschlafen. Er saß mit seinem Kaffee im Wohnzimmer und hörte einen beliebten französischen Sender, der zu jeder vollen Stunde Nachrichten brachte. Leider war es schon kurz nach neun. Was wohl Simone der Polizei erzählen würde? Und was hatte sie gestern abend ausgesagt? Ihn würde sie nicht erwähnen, weil sie sonst Jonathans Beteiligung an den Mafiamorden offenlegen müßte. Oder? Könnte sie [375] nicht behaupten, Tom Ripley habe ihren Gatten gezwungen, habe Druck auf ihn ausgeübt? Aber wie? Nein, wahrscheinlich würde sie etwas sagen wie: »Ich weiß nicht, warum die Mafiosi (oder: die Italiener) zu uns gekommen sind.« »Aber wer war der andere Mann neben Ihrem Gatten? Laut der Zeugenaussagen gab es einen zweiten Mann mit amerikanischem Akzent.« Tom hoffte, daß keiner der Umstehenden seinen Akzent erwähnt hatte, doch irgendwem mochte er aufgefallen sein. »Keine Ahnung«, könnte sie sagen. »Irgendein Bekannter meines Mannes. Den Namen habe ich vergessen…«
Zur Zeit war alles eher unsicher.
Kurz vor zehn kam Reeves herunter. Tom setzte Kaffee für ihn auf und machte Rühreier.
»Ich muß weg, schon Ihretwegen«, sagte Reeves. »Ob Sie mich wohl nach Orly fahren könnten? Außerdem würde ich gern das Hotel anrufen, wegen meines Koffers, aber nicht von hier aus. Könnten Sie mich nach Fontainebleau bringen?«
»Sicher, nach Fontainebleau und dann nach Orly. Wohin wollen Sie denn fliegen?«
»Ich dachte an Zürich. Von dort könnte ich schnell runter nach Ascona, meinen Koffer holen. Aber ich könnte auch im Hotel anrufen, dann schicken sie mir den Koffer nach Zürich an die Adresse von American Express. Ich könnte einfach sagen, ich hätte ihn vergessen!« Reeves rang sich ein Lachen ab, das sorglos und jungenhaft klingen sollte.
Dann war da noch das Geldproblem. Tom hatte ungefähr dreizehnhundert Franc in bar im Haus. Er sagte, er [376] könne Reeves ohne weiteres genug für das Flugticket geben, dazu noch eine gewisse Summe, die er nach der Landung in Zürich in Schweizer Franken tauschen könnte. Minots Reiseschecks steckten in seinem Koffer.
»Und der Paß?« fragte Tom.
»Hier in der Tasche.« Reeves klopfte sich auf die Brust. »Und zwar beide: Ralph Platt, mit Bart, und ich, ohne Bart. Ein Hamburger Freund von mir hat das Foto gemacht, ich habe einen falschen Bart getragen. Stellen Sie sich vor, die Italiener haben mir die Pässe nicht abgenommen. Glück muß man haben, wie?«
Allerdings. Reeves umzubringen war unmöglich, dachte Tom: Wie eine Eidechse glitt dieser Mann geschmeidig über die Steine. Man hatte ihn entführt, mit Zigaretten versengt, mit Gott weiß was bedroht und aus einem fahrenden Auto geworfen, und hier saß er nun und aß Rühreier, und nicht mal die Nase war gebrochen.
»Von nun an reise ich wieder mit meinem richtigen Paß. Also werde ich mir gleich den Bart abnehmen und auch baden, wenn ich darf. Ich bin nur so schnell heruntergekommen, weil ich fand, ich hätte lange genug geschlafen.«
Während Reeves badete, rief Tom Orly an und erkundigte sich nach Flügen. Die erste von drei Maschinen nach Zürich ging um zwanzig nach eins. Die junge Frau sagte, sie hätten sicher noch einen Platz frei.
[377] 24
Kurz nach zwölf war Tom mit Reeves am Flughafen. Er parkte den Wagen, dann rief Reeves wegen seines Koffers das Hotel Drei Bären in Ascona an. Man war bereit, ihm den Koffer nach Zürich zu schicken. Besonders besorgt schien Reeves nicht, jedenfalls nicht so besorgt, wie Tom es gewesen wäre, hätte er einen Koffer samt aufschlußreichem Adreßbuch zurücklassen müssen. Wahrscheinlich würde Reeves den Koffer morgen in Zürich unangetastet wiederbekommen. Tom hatte ihm ein Köfferchen mit einem sauberen Hemd sowie Pullover, Pyjama, Socken und Unterwäsche aufgedrängt, außerdem seine eigene Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta, die für ihn zu einem ordentlich gepackten Koffer unbedingt dazugehörten. Etwas in ihm hatte sich dagegen gesträubt, dem Mann die neue Zahnbürste mitzugeben, die
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