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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Zentimeter?«
    Trevanny wandte seine Aufmerksamkeit dem Aquarell zu, das zwischen ihnen auf dem abgenutzten, schartigen Ladentisch lag.
    Das Bild, vorwiegend in Grün und Purpur gehalten, zeigte Héloïse’ freie Interpretation einer Ecke von Belle Ombre vor einem winterlichen Kiefernwald. Nicht schlecht, [143]  wie Tom fand, weil sie gewußt hatte, wann sie aufhören mußte. Daß er es aufbewahrt hatte, wußte sie nicht. Er hoffte, sie wäre angenehm überrascht, es gerahmt zu sehen.
    »Vielleicht etwas in der Art«, sagte Trevanny. Dabei zog er ein Stück Holz aus einem Regal voller kreuz und quer liegender Leisten. Er legte die Latte in der Breite des Passepartouts über dem Bild an.
    »Ja, das gefällt mir.«
    »Den Karton in Eierschale oder in Weiß, so wie hier?«
    Tom traf seine Wahl. Trevanny schrieb Toms Namen und Adresse sorgfältig in Druckbuchstaben auf einen Notizblock. Tom nannte ihm auch seine Telefonnummer.
    Und jetzt? Wie weiter? Tom spürte Trevannys Kälte fast körperlich. Er wußte, Trevanny würde ablehnen, aber da er nichts zu verlieren hatte, sagte er: »Kommen Sie doch einmal mit Ihrer Frau auf einen Drink zu uns. Villeperce ist nicht weit. Ihren kleinen Sohn können Sie mitbringen.«
    »Danke. Ich habe kein Auto.« Trevanny lächelte höflich. »Wir gehen leider nicht oft aus.«
    »Kein Problem. Ich könnte Sie mit meinem Wagen abholen. Selbstverständlich sollten Sie dann auch zum Abendessen bleiben.« Die Worte sprudelten nur so aus Tom heraus. Trevanny vergrub die Hände in die Taschen seiner langen Wolljacke und trat unsicher und hin- und hergerissen von einem Bein aufs andere. Trevanny war neugierig auf ihn, das spürte Tom.
    »Meine Frau ist schüchtern.« Zum ersten Mal lächelte Jonathan. »Sie spricht nicht gut Englisch.«
    »Genau wie meine Frau, ehrlich gesagt. Sie ist auch [144]  Französin, wissen Sie. Aber wenn Ihnen mein Haus zu weit ist, warum dann nicht auf einen Pastis, gleich hier und jetzt? Wollten Sie nicht gerade schließen?«
    Das stimmte. Es war kurz nach zwölf.
    Sie gingen in ein Restaurant mit Bar an der Ecke Rue de France und Rue Saint-Merry. Unterwegs kaufte Jonathan Brot in einer Bäckerei. Er bestellte Bier vom Faß. Tom ebenfalls. Er legte einen Zehnfrancschein auf die Theke.
    »Was hat Sie nach Frankreich verschlagen?« fragte er.
    Trevanny erzählte ihm von dem Antiquitätengeschäft, das er in Frankreich mit einem englischen Freund aufgezogen hatte. »Und Sie?« fragte er zurück.
    »Oh, meiner Frau gefällt’s hier. Mir auch. Ich kann mir eigentlich kein angenehmeres Leben vorstellen. Ich kann reisen, wann ich will, habe jede Menge freie Zeit – Sie würden sagen Muße. Für Gartenarbeit und Malerei. Ich male wie ein Sonntagsmaler, doch mir macht es Spaß. Wenn ich Lust habe, fahre ich für ein paar Wochen nach London.« Damit hatte er, harmlos und blauäugig, seine Karten auf den Tisch gelegt. Nur daß Trevanny sich fragen könnte, woher das Geld kam. Wahrscheinlich hatte er die Dickie-Greenleaf-Geschichte gehört und den Großteil vergessen, so wie die meisten, bis auf bestimmte Dinge, die man eben nicht vergaß, wie Dickie Greenleafs »geheimnisvolles Verschwinden« – und das, obwohl später offiziell erklärt wurde, Dickie Greenleaf habe Selbstmord begangen. Möglicherweise wußte Trevanny, daß Tom einen Teil seines Einkommens aus dem Geld bezog, das Dickie ihm in seinem Letzten (von Tom gefälschten) Willen hinterlassen hatte; die Zeitungen hatten darüber berichtet. Dann war da im letzten [145]  Jahr noch die Derwatt-Affäre gewesen: In den französischen Zeitungen war es weniger um Derwatt gegangen als um das merkwürdige Verschwinden Thomas Murchisons, eines Amerikaners, der Tom zuvor besucht hatte.
    »Klingt angenehm, so ein Leben«, bemerkte Trevanny trocken und wischte sich den Schaum von der Oberlippe.
    Tom spürte, daß Trevanny ihn etwas fragen wollte. Was wohl? Könnte Trevanny trotz seiner englischen Gelassenheit Gewissensbisse bekommen und beichten, entweder seiner Frau oder der Polizei? Tom glaubte, mit seiner Annahme richtig zu liegen, daß Trevanny seiner Frau nicht erzählt hatte, was er getan hatte, und dies auch nicht tun würde. Vor gerade einmal sechs Tagen hatte er auf einen Mann geschossen und ihn getötet. Reeves dürfte ihm natürlich den Rücken gestärkt und ihn zur Tat ermuntert haben, indem er ihm Vorträge über die Verderbtheit der Mafia hielt und ihm sagte, er tue wirklich etwas Gutes, wenn er einen von denen

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