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Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund

Titel: Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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ausschaltete. Dann dachte Tom an die Garrotte: Nein, er konnte sich nicht vorstellen, daß Trevanny mit ihr arbeiten würde. Wie er sich wohl fühlte nach dem Mord, den er begangen hatte? Ob er überhaupt Zeit gehabt hatte, etwas zu fühlen? Womöglich nicht. Trevanny zündete sich eine Gitane an. Er hatte große Hände. Einer wie er konnte alte Kleider, ungebügelte Hosen tragen und dennoch wie ein Gentleman wirken. Und er sah überhaupt gut aus, auf eine ungehobelte Art, was ihm anscheinend gar nicht bewußt war.
    Trevanny sah Tom aus seinen ruhigen, blauen Augen an: »Kennen Sie zufällig einen Amerikaner namens Reeves Minot?«
    [146]  »Nein«, sagte Tom. »Wohnt er hier in Fontainebleau?«
    »Das nicht. Aber ich glaube, er ist viel unterwegs.«
    »Nein.« Tom nahm einen Schluck Bier.
    »Ich muß gehen. Meine Frau erwartet mich.«
    Sie verließen die Bar. Draußen trennten sich ihre Wege.
    »Danke für das Bier«, sagte Trevanny.
    »Aber gern!«
    Tom ging zu seinem Wagen auf dem Parkplatz vor dem Hôtel de l’Aigle Noir und fuhr los in Richtung Villeperce. Er dachte an Trevanny: ein frustrierter Mann, vom Leben enttäuscht. Sicher hatte er in seiner Jugend nach Höherem gestrebt. Tom sah Trevannys attraktive Frau vor sich, die ausgeglichen wirkte und Jonathan treu ergeben schien. Eine wie sie würde ihren Mann nie bedrängen, mehr aus sich zu machen, ihm nie in den Ohren liegen, mehr Geld zu verdienen. Auf ihre Art war Trevannys Frau wahrscheinlich genauso ehrlich und anständig wie ihr Mann. Und dennoch war Trevanny der Versuchung von Minots Vorschlag erlegen. Was bedeutete, daß Trevanny zu denen gehörte, die man ziehen und schieben konnte, wohin man wollte, wenn man es klug anstellte.
    Madame Annette begrüßte Tom mit der Nachricht, Héloïse werde ein bißchen später kommen: Sie hatte in einem Antiquitätenladen in Chilly-en-Bière eine englische commode de bateau entdeckt und mit Scheck bezahlt, dann aber den Händler zur Bank begleiten müssen. »Sie dürfte jeden Moment kommen, mit der Kommode!« Madame Annettes blaue Augen funkelten. »Sie bittet Sie, mit dem Mittagessen zu warten, Monsieur Tomme. «
    »Aber natürlich!« erwiderte Tom im gleichen fröhlichen [147]  Ton. Das Konto war wohl leicht überzogen; wahrscheinlich hatte Héloïse den Mann deswegen zur Bank begleiten müssen – nur wie, wenn die Bank über Mittag geschlossen war? Und Madame Annette freute sich vermutlich, weil sie noch ein Möbelstück ins Haus bekam, das sie nun unermüdlich auf Hochglanz wachsen und polieren konnte. Héloïse hatte seit Monaten nach einer messingbeschlagenen Schiffskommode für Tom gesucht; das war eine ihrer fixen Ideen, so eine commode de bateau für sein Zimmer.
    Tom beschloß, die Gunst der Stunde zu einem Anruf bei Minot zu nutzen, und lief die Treppe hinauf in sein Zimmer. Es war 13   :   22   Uhr. Seit ungefähr drei Monaten verfügte Belle Ombre über zwei neue Telefone mit Durchwahl, so daß Ferngespräche nicht länger über die Vermittlung laufen mußten.
    Minots Haushälterin meldete sich. Auf deutsch fragte Tom, ob Herr Minot zu Hause sei. Er war da.
    »Hallo, Reeves. Hier ist Tom. Ich kann nicht lange sprechen, wollte nur sagen, ich habe mich mit unserem Freund getroffen. Wir haben etwas getrunken, in einer Bar in Fontainebleau. Ich glaube…« Tom stand auf, trat ans Fenster und starrte angespannt auf die Bäume jenseits der Straße, ins leere Blau des Himmels. Er wußte nicht recht, was er sagen sollte, nur daß er Reeves ermuntern wollte, nicht aufzugeben. »Ich weiß nicht, aber mit ihm könnte es klappen. Ist nur so ein Gefühl. Doch Sie sollten es weiter versuchen.«
    »Ach ja?« Reeves hing an seinen Worten, als sei er ein unfehlbares Orakel.
    »Wann sehen Sie ihn wieder?«
    [148]  »Tja, ich hoffe, er kommt am Donnerstag nach München. Übermorgen. Ich will ihn überreden, sich dort noch einem Arzt vorzustellen. Und dann… Sehen Sie, der Zug nach Paris verläßt München am Freitag gegen zehn nach zwei.«
    Tom war schon einmal mit dem Mozart-Expreß gefahren, allerdings von Salzburg aus. »Ich würde sagen, Sie lassen ihn zwischen einer Pistole und… und dem andern Ding wählen, raten ihm aber von der Kanone ab.«
    »Das hab ich schon versucht!« erwiderte Reeves. »Sie glauben, er könnte es sich doch noch anders überlegen, ja?«
    Tom hörte einen, nein zwei Wagen über den Kies vor dem Haus fahren: sicher Héloïse mit dem Antiquitätenhändler. »Ich muß auflegen, Reeves.

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