Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Titel: Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Gigerenzer
Vom Netzwerk:
– noch gibt.
    Verstehen unsere Banken die Grenzen der Optimierung in einer ungewissen Welt? Vor einigen Jahren schickte meine Internetbank einen Brief an ihre Kunden. Dort hieß es:
Mit nobelpreisgekrönter Strategie zum Anlageerfolg!
    Kennen Sie Harry M. Markowitz? Nein? Dann sollten Sie ihn kennenlernen: Der amerikanische Wissenschaftler erhielt im Jahr 1990 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Mit seiner Portfoliotheorie hatte er nachgewiesen, dass die richtige Gewichtung von Einzelwerten das Chancen-Sicherheits-Verhältnis eines Wertpapierdepots erheblich optimieren kann.
    So viel zur Theorie. Die Depots der meisten Anleger sehen jedoch anders aus. Da sie oftmals eher willkürlich denn systematisch zusammengestellt worden sind, besteht starker Optimierungsbedarf.
    Weiter wird in dem Brief erklärt, dass die Bank das Minimum-Varianz-Portfolio verwende, und die Warnung ausgesprochen, nicht auf intuitive Regeln zu vertrauen. Allerdings hatte die Bank nicht begriffen, dass sie den Brief 500 Jahre zu früh abgeschickt hatte.
    »Das kann ich doch selber!«
    Vor einiger Zeit hielt ich einen Vortrag auf der Morningstar Investment Conference , in dem ich eingehender beschrieb, wann und warum einfache Regeln komplexen Strategien überlegen sind. 104 Minimum-Varianz und ähnliche Modelle sind gut, wenn die Risiken genau bekannt sind, etwa wenn sie die Vergangenheit »voraussagen« müssen. Doch zur Vorhersage der Zukunft sind sie nicht unbedingt geeignet; hier bewähren sich einfache Regeln oft weitaus besser. Nach dem Vortrag war ich zu einer Podiumsdiskussion mit zwei führenden Finanzanalysten eingeladen. Das Publikum – mehrere hundert der besten Kunden – war gespannt, wie sie reagieren würden. Ich auch. Die Moderatorin wandte sich an den ersten Analysten:
    »Sie haben gerade gehört, welche Ansicht Professor Gigerenzer vertritt: dass in einer ungewissen Welt einfache Regeln oft besser sind als Optimierung. Da Sie bekanntlich für komplexe Investmentmethoden eintreten, würde uns interessieren, was Sie dazu meinen?«
    Alle wollten wissen, wessen Blut nun fließen würde.
    »Ich muss zugeben«, sagte der Analyst, »dass ich mich häufig auch auf 1/N verlasse.«
    Ich war überrascht, wie rasch dieser Analyst eine Kehrtwende vollzog, als er herausgefordert wurde. Nach der Podiumsdiskussion kam der Chef der Investmentabteilung einer großen internationalen Versicherungsgesellschaft zu mir und sagte, er werde die Investitionen seines Unternehmens überprüfen. Drei Wochen später kam er mit seinem Assistenten in mein Büro.
    »Ich habe unsere Investitionen seit Anfang 1969 überprüft. Dabei habe ich 1/N mit unseren tatsächlichen Investmentstrategien verglichen. Wir hätten mehr Geld verdient, wenn wir uns an diese einfache Faustregel gehalten hätten.«
    Doch dann kam die eigentliche Schwierigkeit zur Sprache.
    »Ich habe mich davon überzeugt, dass einfach besser ist. Aber da liegt mein Problem. Wie erkläre ich das meinen Kunden? Die könnten doch sagen, das kann ich selber!«
    Ich versicherte ihm, dass es da noch eine Vielzahl offener Fragen gebe, etwa nach der richtigen Größe von N , der Art der Aktien, dem geeigneten Zeitpunkt eines Rebalancing – und vor allem, wann und wo 1/N eine erfolgreiche Strategie ist.
    Die Moral von der Geschichte lautet, dass sich in einer Welt bekannter Risiken, die den mathematischen Annahmen des Minimum-Varianz-Portfolios entspricht, das Rechnen lohnt. Dass aber in der realen Welt des Investments einfache, intuitive Regeln klüger sein können. Das Gleiche gilt generell in ungewissen Welten.
    Weniger ist mehr: Einsteins Regel
    Wie kann eine einfache Faustregel eine nobelpreisgekrönte Methode schlagen? War das einfach Zufall? Nein. Es gibt eine mathematische Theorie, die uns sagt, warum und wann das Einfache besser ist. Sie heißt Bias-Varianz-Dilemma . Damit jeder Leser – egal, ob mathematisch vorgebildet oder nicht – diese komplizierte, aber wichtige Erklärung verstehen kann, lasse ich die mathematischen Einzelheiten fort. 105 Die Quintessenz der Theorie kommt in einer Aussage zum Ausdruck, die Albert Einstein zugeschrieben wird:
    Es geht darum, alles so einfach wie möglich zu machen, aber nicht einfacher.
    Wie weit wir bei der Vereinfachung gehen, hängt von drei Merkmalen ab. Erstens, je größer die Ungewissheit, desto mehr sollten wir vereinfachen. Je geringer die Ungewissheit, desto komplexer sollte die Methode sein. Der Aktienmarkt ist insofern

Weitere Kostenlose Bücher