Risiko!
sie hatte sich nie die Zeit genommen, danach zu fragen.
Sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihre Karriere zu planen und die Idee umzusetzen, die sie an einem Winterabend in einem Coffeeshop in Austin gehabt hatte. Sie hatte zwar reichlich von Nolans Wissen und Sachkenntnis profitiert, aber wenig darüber nachgedacht, wie seine Anfänge wohl ausgesehen haben mochten.
Auf Coconut Caye hatte er ihr erzählt, wie es für ihn gewesen war, sich mit siebzehn zu verlieben und direkt danach Vater zu werden. Und seitdem sah sie Nolan mit vollkommen anderen Augen.
Auch ihr Bild von ihrer Mutter hatte sich seitdem verändert. Sie glaubte nicht, dass sie beide je mehr sein könnten als gute Freunde. Dafür waren sie zu verschieden. Aber das war gut so. Sie hatten Frieden geschlossen, und nur darauf kam es an. Sie hatten eine neue Basis gefunden, auf der sie miteinander auskommen konnten.
Doch hier und jetzt ging es ausschließlich um Ray.
Bei Eric und Chloes Party hatten sie sich nicht einmal unterhalten können. Dort waren zu viele Menschen gewesen, und wann immer sie versuchte, ihn kurz allein zu sprechen, kam einer seiner vielen Freunde dazwischen. Schließlich hatte sie sich zurückgezogen und ihn aus der Ferne beobachtet. Dabei war ihr durch den Kopf gegangen, was er am letzten Abend auf der Insel zu ihr gesagt hatte.
Er hatte recht gehabt. Sie hatten gerade mal die Oberfläche angekratzt, einander aber nicht wirklich kennengelernt. Und sie hoffte, sie könnte von jetzt ab alle Zeit ihres Lebens nutzen, um das nachzuholen. Sie hatte acht Wochen gebraucht, bis sie zugeben und akzeptieren konnte, dass sie ihn brauchte.
Und nun schuldete sie ihm zumindest eine Entschuldigung dafür, wie kalt und abweisend sie sich benommen hatte, als er ihr sein Herz öffnen wollte.
Sie hatte einen Sechserpack Corona mitgebracht – sozusagen als Friedensangebot. Doch sie betete, dass er sich mit dem Bier allein nicht zufriedengeben würde, denn sie wollte ihm viel mehr geben. Sich selbst.
Acht Jahre lang hatte sie sich eingeredet, er wäre ihr Teenagerschwarm. Doch inzwischen war daraus weit mehr geworden. Sydney Ford liebte Ray Coffey. Die ehemalige Eiskönigin und der begehrteste Junge der High School – wer hätte das wohl gedacht?
Sollten ihre damaligen Abschlussklassen davon erfahren, würde ihnen das Lästerstoff für die Klassentreffen der nächsten Jahrzehnte liefern. Vorausgesetzt, dieser Nachmittag verlief so, wie sie es sich erträumte.
Aber Sydney war optimistisch. Natürlich bestand die Gefahr, dass sie zu lange gezögert hatte, sich zu lange vorgemacht hatte, in ihrem Leben sei kein Platz für die Liebe. Doch um das herauszufinden, war sie hier.
Und sie hatte ihm außer dem Bier noch etwas anderes mitgebracht, das auf dem Beifahrersitz neben ihr lag. Eine Überraschung für ihn, die ihn für qualvolle Jahre entschädigen sollte und die sie ihm überbringen wollte.
Er war im Garten hinter dem Haus. Bis auf eine ausgeblichene Jeans und ein paar Turnschuhe ohne Schnürbänder war er vollkommen unbekleidet. Sein dunkles Haar glänzte feucht, und auf seiner Brust glitzerten feine Schweißperlen.
Wie es aussah, hatte er gerade den Rasen gemäht und geharkt und war jetzt dabei, die Regenrinne zu reinigen. Die Pflichten des Hausbesitzers, dachte Sydney. Und sie war gekommen, weil sie ihm vorschlagen wollte, ihm in Zukunft bei der Arbeit zur Seite zu stehen. Sie wollte in seinem Bett schlafen und ihm die Kinder schenken, die er sich sehnlichst wünschte – auch wenn er das nicht offen zugeben wollte.
Dazu musste sie ihn allerdings davon überzeugen, dass er nicht ohne sie leben könnte. Sydney holte tief Luft und streckte die Schultern durch. Ihr stand die wichtigste Verhandlung ihres Lebens bevor.
Bier und Briefumschlag hielt sie in einer Hand und holte mit der anderen eine Flasche aus dem Sechserpack. Sie hielt sie ihm entgegen, als er aufsah und sie entdeckte. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, das jedoch sogleich wieder verschwand.
Immerhin durfte sie hoffen.
Sie reichte ihm das Bier. Er nahm es und öffnete den Verschluss. Fasziniert sah sie ihm zu, wie er trank, und dachte daran, wie seine Haut sich anfühlte und schmeckte.
Er hatte beinahe ein Drittel der Flasche getrunken, bevor sie wieder sprechen konnte. “Ich wollte dir eigentlich sagen, dass es nur umsonst ist, wenn man es trinkt. Aber wie ich sehe, erübrigt sich das.”
“Schön, dich zu sehen, Sydney”, sagte er und wischte sich
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