Riskante Nächte
eine Treppe hinauf.
»Kommen Sie, meine Liebe«, sagte Marcus.
Er führte sie durch den Lieferanteneingang hinaus in eine von Durcheinander und hektischen Rufen erfüllte Nacht. Niemand in der Gasse draußen beachtete sie.
Einige Minuten später führte Marcus sie in eine nahegelegene Straße. Eine geschlossene Kutsche wartete auf sie. Die Verschlagtür flog auf, und eine Frau in einem Umhang lehnte sich heraus.
»Beeilen Sie sich«, drängte Clarice aufgeregt. »Sie müssen von hier fort, Mrs. Bryce. Wir wollen schließlich nicht Gefahr laufen, dass Sie von einem Vertreter der Presse erspäht werden. Sie wissen ja, wie diese Reporter sind, wenn es um Sensationen und Skandale in der feinen Gesellschaft geht.«
Wie benommen stieg Louisa in die Kutsche ein. Als sie sich setzte, entdeckte sie, dass Clarice nicht allein war. Georgiana Stalbridge saß auf der Sitzbank ihr gegenüber. Auch sie war von Kopf bis Fuß in einen Umhang gehüllt.
»Gott sei Dank, Sie sind in Sicherheit«, sagte Georgiana. »Wir haben uns solche Sorgen um Sie gemacht. Sind Sie verletzt, meine Liebe?«
»Nein«, brachte Louisa heraus. »Mir geht es gut, alles bestens.«
»Was für eine Erleichterung«, sagte Georgiana. Sie sah Marcus an, der gerade in den Verschlag stieg. »Wo ist Anthony?«
»Er ist noch geblieben, um sich umzuschauen, bevor die Polizei eintrifft«, erklärte Marcus. »Wir sehen ihn später zu Hause.«
Die Kutsche setzte sich rumpelnd in Bewegung.
Louisas Blick huschte von Clarice zu Georgiana und dann zu Marcus. In der dunklen Enge des unbeleuchteten Verschlags war es schwer, in ihren Gesichtern zu lesen.
»Ich verstehe das alles nicht«, sagte sie zu Georgiana. »Warum sind Sie und Clarice hier? Ich kann verstehen, dass Anthony sich verpflichtet fühlte, mich zu retten, und es war sehr freundlich von Mr. Stalbridge, ihm zu helfen, aber es bestand doch sicher keine Notwendigkeit für Sie und Clarice, das Risiko einzugehen, in der Nähe vom Phoenix House gesehen zu werden.«
Georgiana streckte den Arm aus und tätschelte ihre Hand. »Clarice und ich haben uns geweigert, daheim der Dinge zu harren, während Anthonys zukünftige Frau sich in Lebensgefahr befand. In dieser Familie stehen wir einander bei.«
Anthonys zukünftige Frau. Entgeistert starrte Louisa sie an. »Ich fürchte, da liegt ein schreckliches Missverständnis vor.«
»Ganz sicher nicht«, sagte Clarice unerschütterlich fröhlich. »Und jetzt fahren wir auf direktem Weg nach Hause und entspannen uns bei einem Glas Brandy, während wir auf Anthony warten.«
48
Die Tür am Ende des Flurs war geschlossen, während alle anderen Türen sperrangelweit offen standen, aufgerissen von den fliehenden Frauen und Freiern. Anthony blieb stehen. Er hatte beabsichtigt, schnurstracks in das oberste Stockwerk zu gehen, wo sich Madame Phoenix’ Privatgemächer befanden, aber die geschlossene Tür machte ihn neugierig.
Er ging den Flur hinunter und blieb vor der Tür stehen. Er zückte seinen Revolver, stellte sich seitlich zur Tür und umfasste die Klinke. Sie ließ sich mühelos herunterdrücken. Er stieß die Tür mit seiner Stiefelspitze auf und hielt sich vorsichtshalber weiter aus der Schusslinie. Es zischten keine Kugeln aus dem Zimmer. Stattdessen hörte er Kettenrasseln, gefolgt von einem lauten Stöhnen.
Er spähte in das Zimmer. Die Wände waren mit schwarzem Samt bespannt. In einer Ecke stand eine Vitrine mit einer Auswahl an Peitschen und ungewöhnlichen Gerätschaften.
Elwin Hastings lag rücklings auf dem schwarzen Seidenlaken des Betts. Seine Handgelenke und Fußknöchel waren an die Bettpfosten gekettet. Er war nackt und hatte einen Knebel im Mund. Als er Anthony sah, verdrängte Erleichterung die Angst in seinen Augen. Er stöhnte abermals.
Anthony trat ans Bett und löste den Knebel.
Elwins Stimme überschlug sich prustend. »Stalbridge! Ich habe Sie in dieser Aufmachung gar nicht erkannt. Was zum Henker machen Sie denn …? Sei’s drum. Ich dachte, sie wäre es. Dachte, sie wäre zurückgekommen, um mich zu ermorden! Binden Sie mich los. Beeilen Sie sich, Mann! Ich habe das Geschrei gehört. Das Haus steht in Flammen.«
»Das Haus steht nicht in Flammen«, widersprach Anthony.
»Wie auch immer, ich muss von hier verschwinden. Sie verstehen ja nicht. Sie hat vor, mich umzubringen!« Er stockte, denn jetzt hatte er den Revolver in Anthonys Hand bemerkt. »Was haben Sie damit vor?«
»Ich bin vor kurzem Ihrer ersten Frau und deren
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