Riskante Versuchung
verstecken.“
„Jess, das ist mein Ernst.“
„Rob brauchte eine Wohnung“, erklärte Jess ihrer Freundin nicht zum ersten Mal. „Und zwischen uns läuft überhaupt nichts. Dabei soll es auch bleiben, wenn es nach mir geht. Ich habe dringend einen Mieter gesucht. Wegen des Geldes und weil andernfalls Stanford Greene eingezogen wäre, wenn Rob die Wohnung nicht genommen hätte.“
Das brachte Doris für einen Moment zum Schweigen. „Du liebe Zeit“, presste sie schließlich hervor.
„O ja“, pflichtete Jess ihr bei, stieß die Fliegentür auf und trat mit ihrem tragbaren Telefon hinaus auf die Veranda. „Kann man wohl sagen.“
„Dieser unheimliche Typ, der mit seinen ebenso unheimlichen Eltern nebenan lebt?“, wollte Doris wissen.
„Genau der.“ Jess schaute zum Haus ihrer Nachbarn, das dringend einen Anstrich und ernsthafte Reparaturen nötig hatte. Unheimlich, allerdings - sowohl das Haus als auch die darin wohnenden Leute. Stanford Greenes Mutter fand, da ihr kleiner Junge auf die vierzig zuging, sei es für ihn an der Zeit, zu heiraten. Sie war außerdem davon überzeugt, Jess wäre genau die richtige Braut für ihren Jungen. Sowie Mrs Greene erfahren hatte, dass Elmer Schiller aus Jess‘ Anbau auszog, um bei seiner Tochter in Fort Myers zu leben, hielt sie Stanfords Einzug in die frei gewordene Wohnung für die Gelegenheit, dass ihr kleiner Sohn Jess besser kennenlernte. Jess sah das anders. Im Geiste hatte sie den dicklichen Stanford vor Augen, wie er sein Ohr an die papierdünnen Wände drückte, damit er ihre Telefonate mithören konnte. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie er sie jeden Tag von der Veranda aus anstarrte statt von der anderen Seite des Holzzauns zwischen den beiden Gärten.
„Ich nehme alles zurück“, wandte Doris schaudernd ein. „Na, einiges jedenfalls.“
Jess lehnte sich an das Verandageländer und schaute auf die Auffahrt unter ihr. Der Kofferraum von Robs Wagen stand offen, erhellt vom Schein der schwachen Garagenbeleuchtung. Ihr neuer Mieter war jedoch nirgends zu entdecken.
„Entschuldigung, mache ich zu viel Lärm?“, hörte sie plötzlich eine sanfte Stimme hinter sich und fuhr erschrocken herum.
„Ich weiß, es ist spät, und ich will Ihre Tochter nicht aufwecken.“
Rob musste in seiner Wohnung gewesen sein. Jess hatte weder mitbekommen, wie die Tür aufging, noch hatte sie seine Schritte auf der Veranda vernommen. Er schien einfach plötzlich aufgetaucht zu sein, so als könne sie ihn allein durch ihre lebhafte Vorstellungskraft herbeizaubern.
Er war größer als in ihrer Erinnerung. Und obwohl er noch gut fünf Schritte von ihr entfernt stand, schien er viel zu nah zu sein.
„Sie haben mich erschreckt“, sagte sie atemlos.
„Tut mir leid.“
Seine Augen waren braun, ein ganz normales Braun, nicht dunkel wie Schokolade oder bernsteinfarben. Einfach nur braun. Sein Blick war fest und ein wenig verdeckt durch seine silberfarbene Nickelbrille. Doch jedes Mal, wenn sie einander anschauten, schien es heiß und gefährlich zwischen ihnen zu knistern. So wie auch dieses Mal.
Seine Haare und sein Gesicht glänzten feucht vom Schweiß, aber er hatte die Ärmel nicht hochgekrempelt. Nicht einmal die Krawatte hatte er gelockert.
Obwohl Jess es Doris gegenüber bestritt, fand sie ihn sehr attraktiv. Das würde sie ihrer Freundin gegenüber nicht zugeben. Doch es vor sich selbst leugnen konnte sie auch nicht.
Auf den ersten Blick wirkte Rob eher durchschnittlich. Sein braunes Haar war konservativ geschnitten, und er war mittelgroß. Er hatte stets die gleiche Kleidung an und war angezogen wie ein Computerprogrammierer. An diesem Abend trug er noch seine Arbeitskleidung - eine Kakihose sowie ein langärmeliges Hemd mit nichtssagender Krawatte. In einem Fahrstuhl voller Geschäftsleute würde er überhaupt nicht auffallen.
Es sei denn, man schaute genauer hin.
Seine Schultern waren breit, er hatte einen schlanken Körper, und sein Po zeichnete sich geradezu verboten knackig unter der Hose ab. Der Mann hatte unbestreitbar einen tollen Hintern und noch dazu ein anziehendes Lächeln. Seine Zähne waren ebenmäßig und weiß, und um die Mundwinkel bildeten sich auf charmante Art und Weise Grübchen. Nein, er sah wesentlich besser als durchschnittlich aus. Hinter dieser Brille und dem langweiligen Haarschnitt verbarg sich ein erstaunlich attraktiver Mann. Sein Gesicht war schmal und markant - mit einer geraden, nahezu vollkommenen Nase. Sein Mund war
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