Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
abwaschen.
– Wäscht du nie ab, sagte ich.
– Nein, wir haben eine Haushaltshilfe, wieso?
– Man sieht es deinen Händen an, sagte ich. Ich nahm ihre Hand. Ich hatte ganz recht gehabt. Wir hatten einen Kontakt, der bis ins Zwerchfell hinunter zu spüren war. Sie zog die Hand nicht zurück, im Gegenteil, sie schloß sie fest um meine Finger, gar nicht spielerisch, sondern gedankenverloren, mit einem nach innen gekehrten Ernst, als wollte sie wirklich spüren, wie ich mich anfühle. Es dauerte mindestens zwei Minuten, und mein Zwerchfell spürte es die ganze Zeit über.
Meine Erfahrung mit Frauen ist begrenzt. Sie pflegen kein solches Selbstvertrauen zu haben.
– All right, sagte sie. Aber denk dran, daß es vielleicht nur ein einziges Mal sein wird.
Ich kam völlig aus dem Konzept. Ich fühlte mich total unfähig, irgendwas zu sagen. Sie sah mich interessiert an.
– Über dich ist ein Gerücht im Umlauf.
– Was für eins?
– Daß du irgendeinen unabhängigen Ausschuß übernehmen sollst, oder was auch immer. Einen Ausschuß, der unmittelbar der Regierung unterstehen und Zuschüsse für Entwicklungsprojekte bekommen soll.
– Herrgott noch mal, sagte ich, was sind denn das für komische Gerüchte? Woher kommen sie denn?
– Von verschiedenen Seiten.
– Ehrlich, sagte ich. Ich habe keine Ahnung davon. Woher kommen bloß all diese komischen Gerüchte? Ich bin kein Karrieremacher, ich laufe dem Klatsch nicht hinterher. Ich versuche, meine Arbeit einigermaßen anständig zu machen, während andere in den Gängen stehen und quatschen. Ehrlich: Ich versuche, mich aus sowas rauszuhalten.
– Ich glaub’s dir. Vielleicht ist das der Grund.
Sie lachte. Es war das erste Mal, daß ich sie lachen hörte. Sie pflegte sich ein klein wenig abseits zu halten, war immer recht still bei Tisch, wenn die Abteilungen zusammen essen gingen.
Ich kannte sie und kannte sie nicht.
Das ist die Voraussetzung, dachte ich. Die Voraussetzung für jede wirklich gute Erotik ist, daß man einander nicht kennt. Dieser Gedanke machte mich so unruhig, daß mir das Stillsitzen schwerfiel.
– Was ist das eigentlich für ein Buch, das du da liest, sagte ich und nahm es, um nachzusehen.
Ich kam gar nicht dazu, es mir anzusehen, ich weiß bis heute nicht, was es gewesen sein könnte, ob es ein billiger Kriminalroman war oder eine Gedichtsammlung von Lars Forssell, denn in diesem Moment begann der Zug sehr langsam, gleichsam holprig zu fahren und blieb stehen.
Es wurde ganz still, dann fingen die Leute an zu reden, ein bißchen beunruhigt.
Wir hatten doch um Himmels willen nicht etwa irgendwas überfahren im Schneetreiben?
Ich beugte mich über sie hinweg, bat sie aber vorsorglich zuerst um Entschuldigung, um nicht herausfordernd intim zu wirken, und zog das Fenster herunter. Draußen sah ich nichts als Dunkelheit und undurchdringliches Schneegestöber.
Auch andere Leute begannen, die Fenster herunterzuziehen. Sie sahen nicht mehr als ich, aber es wurde recht kalt im Wagen.
– Es zieht, rief jemand.
Der Schaffner kam, es war jetzt ein anderer Schaffner, und machte ein ernstes Gesicht.
– Was ist denn passiert?
– Wir sind steckengeblieben. Es hat Schneeverwehungen gegeben. Eine Lok mit Schienenräumer wird so schnell wie möglich aus Hallsberg kommen.
Alle, die eben noch so still dagesessen hatten, begannen jetzt nervös miteinander zu reden.
– Da haben wir’s, sagte ich.
Wir waren beide irgendwie befangen, als hätte die plötzliche Stille im Zug uns irgendwie unterbrochen.
– Wo stehen wir eigentlich?
Ich stellte diese Frage zuerst einer Dame, die ein Gesicht machte, als sei das ein plumper, obszöner Scherz, und dann einem Herrn in einem tadellosen Anzug mit schöngelocktem Haar und sehr buschigen braunen Augenbrauen, der ganz so dreinsah, als sei die Frage idiotisch.
– Ein paar Kilometer vor Skövde natürlich, sagte er.
Es dauerte wohl etwa eine Stunde, bis die Schwedische Eisenbahn sich entschloß, es statt dessen mit Bussen zu versuchen. Es war entsetzlich eng in dem Bus, den wir erwischten, Frau Tillich und ich. Wir standen vorn an der Motorhaube zusammengedrängt, um uns herum stapelte sich das Gepäck. Ein kleines Kind sabberte mir dann und wann aufs Hosenbein, aber das störte mich nicht besonders. Wir waren beide, glaube ich, in einer eigentümlich aufgekratzten Stimmung. Der Bus schlitterte beängstigend auf der Straße hin und her. Mit dem linken Arm in einer Schlaufe hängend, fiel ich
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