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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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hin und wieder gegen sie, es war wirklich wie ein Fall.
    Noch nie, glaube ich, weder davor noch danach, hat irgend jemand eine so starke Anziehungskraft auf mich ausgeübt wie sie, als wir in diesem Bus standen, sie kam über mich wie eine Verzauberung, sie war unwiderstehlich und ganz und gar wahnsinnig, und irgendwie kam mir der Gedanke, es sei, als habe man eine große Dunkelheit vor sich; ich meine, diese Anziehungskraft war so, als gehe es um Leben oder Tod, eine solche Anziehungskraft, bei der man sich endlich sagt ICH PFEIFE DRAUF, OB ICH DARAN STERBE.
    Der Bus fuhr sehr langsam, in einem niedrigen Gang, und machte einen furchtbaren Krach; hin und wieder tauchten die Scheinwerfer entgegenkommender Autos auf, bedrohlich und blendend in der undurchdringlichen Dunkelheit, hin und wieder blinkten die schwächeren Lichter von einem abgelegenen Haus auf.
    Hier vorn beim Fahrersitz sah es aus, als rase jede einzelne Schneeflocke auf den Bus zu, und das bewirkte ein Schwindelgefühl, als würden wir fallen und fallen.
    Ihr Pelz war offen, und wie wir da standen, jeder mit einem Arm an der Decke hängend, hatte ich den Mund praktisch an ihrem rechten Ohr, ihre Brust an meinem Brustbein, und ich mußte irgendwie intensiv an ihre starken Schenkel unter diesem Pelz denken. Es waren so viele Leute da, daß all das sich auf ganz natürliche Art durch das Gedränge erklären ließe. Und doch so sonderbar selbstverständlich.
    Genau wie in diesem immer kälter werdenden Zug, zu dem kein Hilfstrupp gekommen war und in dem die Lampen immer trüber brannten, konnte ich ihr ins Ohr flüstern, in dieses unbekannte Ohr, und ihr von mir erzählen.
     
    Ich bin in Västerås geboren. Das ist ein ziemlich sonderbarer Ort, um darin aufzuwachsen, nein, es ist ein ganz natürlicher Ort, um darin aufzuwachsen, der natürlichste auf der Welt, in gewisser Weise. Wir hatten nicht viel zu tun. In den Kriegsjahren wohnte ich in einem Häuserviertel beim Kullen, da stand ein Mietshaus am anderen, sie waren allesamt um 1940 herum fertig geworden, und zwischen den Häusern stapelten sich riesige Holzstöße. Ganz phantastische.
    Es war eine recht dürftige Gegend, wenn auch nicht gerade ärmlich, ich meine, es war kein Slum oder sowas. Einen Slum gab es ein paar Kilometer weiter südlich, die Kinder aus dieser Gegend hatten meist komische Ekzeme, wenn sie in der Schule auftauchten. Es war aber auch keine besonders wohlhabende. Ich habe sie als wortkarg in Erinnerung: Wir redeten in einer Sprache miteinander, Kinder wie Erwachsene, die nicht sehr reich an Syntax war.
    In diesen riesigen Holzstößen konnte man Gänge und Höhlen bauen, und das gefiel den Hausmeistern dieser Gegend natürlich gar nicht. Sie pflegten uns mit einem sehr gutturalen und einsilbigen Gebrüll davonzujagen. Es waren natürlich keine bösen Menschen; sie hatten nur Angst, daß jemand einen Holzstoß anzünden könnte, oder vielleicht, daß die Holzstöße auf uns herabstürzen und uns zerschmettern könnten.
    Sie hatten ja ganz recht, so etwas hätte schon passieren können.
    Die meisten Kinder in diesem Viertel schienen immer ein wenig ihrem Schicksal überlassen zu sein. Weiß der Himmel, warum. Manche haben es überlebt, andere nicht. Eins der Kinder wurde von einem zurücksetzenden Lastwagen überfahren, ein anderes ertrank in einem Moor.
    Es mag sonderbar klingen, aber die Häuser lagen direkt am Rand eines Waldes, eines richtig großen Waldes, in dem es von kleinen Mooren wimmelte. An diesem Waldrand standen große, mächtige Eichen, das ist ja so im Mälartal, aber im Wald drinnen gab es nichts als Kiefern, Findlingsblöcke und Moore.
    Es war so ein richtiger Vorstadtwald, du weißt schon. Oder weißt du’s etwa nicht? Die Bäume wurden mit den Jahren ganz blankgescheuert von all den Kindern, die in ihnen herumkletterten, sonderbare Herren in Trenchcoats führten dort ihre Schäferhunde spazieren, die Heimwehr hielt Sonntagsübungen ab, daß es zwischen den Bäumen nur so knallte und wir hinterher die Patronenhülsen auflesen konnten.
    Ganz zu schweigen von all den anderen Absonderlichkeiten.
    Die Omnibuslinie hatte dort ihre Endhaltestelle, und die Fahrer stiegen gewöhnlich dort aus und zogen in der Pause manchmal mit den Schaffnerinnen eine Nummer ab – denn damals gab es ja noch Schaffnerinnen in den Bussen.
    Tolle Nummern – sie hatten es ja immer so eilig! Die kleinen Buben pflegten in den Büschen zu hocken, sich anzuschleichen und sie im entscheidenden

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