Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Moment anzufeuern. Dieser Wald hatte etwas Herrliches an sich, wenn du verstehst, was ich meine. Wenn man sich in ihn hineinbegab, wußte man nie, was einem passiert sein würde, bevor man wieder herauskam. Manchmal stieß man in diesem Wald auf komische Leute, sehr komische sogar, die einem eine Krone spendierten, wenn man komische Sachen mit ihnen machte.
Direkt am Waldrand bildete der Wald so etwas wie kleine Inseln – dort war früher einmal der Boden des Sees – so ist es eben im Mälartal, der Mälarsee hat früher viel tiefer nach Västerås hineingereicht als es heute der Fall ist, zur Zeit Gustav Vasas verlief die Uferlinie ganz nahe am Schloß –, und auf so einem Inselchen hatten wir eine Zeitlang Kaninchenkäfige, die wir aus Kisten von irgendeiner Baustelle zusammengebastelt hatten.
Die Kaninchen waren übrigens aus einem Loch in irgendeiner Ecke einer richtigen Kaninchenfarm geschlüpft, die ein paar Kilometer weiter weg in einer anderen Richtung lag, im Vegaviertel, aber das ist eine andere Geschichte. Der Besitzer war übrigens wütend, als er nach dreiwöchiger Suche unsere Kaninchenkäfige fand und dahinterkam, was da los war. Er holte sie alle zurück – Kaninchen waren ja damals ziemlich wertvoll, weil sie zu den wenigen Dingen gehörten, die nicht auf Lebensmittelmarken verkauft wurden.
Ich weiß noch, wie traurig ich war, als ich in einer Frühstückspause aus der Vorschule heimkam und entdeckte, daß der Käfig leer war.
Zwischen diesen Kaninchenkäfigen machte ich meine ersten Erfahrungen; ich meine – SEXUELLE – Erfahrungen. Da war ein Mädchen namens Berit, die unheimlich verliebt in mich war, und ich erinnere mich an ein paar lustige Experimente, die wir mit unseren noch unreifen Geschlechtsteilen anstellten.
Sie war mir genauso fremd, wie du es bist. Immer ist es das Fremde an den Fremden, das mich reizt, immer ist es das Unbekannte, das mich anzieht.
Nur weil ich das von den Kaninchen erzählt hab, fällt mir etwas anderes ein, woran ich bestimmt jahrzehntelang nicht mehr gedacht habe, und zwar, daß ich einige Sommer zuvor eine Katze versorgte, die ich gefunden hatte. Sie strich zwischen den Häusern herum, und ich glaube kaum, daß sie einen Besitzer hatte, oder auch war der Besitzer gestorben oder verzogen oder einberufen worden – es wurden ja damals ununterbrochen Leute einberufen –, jedenfalls fand ich die Katze halb verhungert in einem Kellerverschlag bei den Mülleimern, wo sie offenbar wer weiß wie lange eingesperrt gewesen war – es gab ganz labyrinthische, unglaubliche Keller in diesen Häusern, mit Luftschutzräumen, Abstellräumen für die Fahrräder und normalen Kellerräumen, voll von abgestellten alten Wanduhren, aufgehobenen Leinölfässern und Sofas, wo die Sprungfedern aus den Polstern herausragten, und dort war diese Katze.
Es ist eine traurige Geschichte. Ich weiß nicht, ob es eine Geschichte für dich ist. Doch. Ich glaube schon, daß es eine Geschichte für dich ist, trotz allem.
Ich habe seit Jahren nicht mehr daran gedacht.
Verstehst du, ich glaube, daß ich diese Katze zu Tode gequält habe.
Nicht mit Absicht. Übrigens weiß ich gar nicht, was eine Absicht eigentlich ist. Eine Absicht muß ja bedeuten, daß man beschlossen hat, von einem Stand der Dinge zu einem anderen zu gelangen. Es gab keinen Stand der Dinge, den ich hätte erreichen wollen.
Die Katze hing an mir. Ich durfte sie natürlich nicht in die Wohnung mitnehmen, aber ich brachte ihr Milch und Essensreste an ein Plätzchen hinter dem Kellereingang. Dorthin kam sie regelmäßig, und ich pflegte mit ihr zu spielen. Sie war ziemlich jung, sehr mager, eine ganz gewöhnliche Katze.
Sie war das erste lebendige Geschöpf, das je von mir abhängig gewesen ist, und das genoß ich unheimlich.
Ich pflegte sie in den Arm zu nehmen und sie so fest zu drücken, daß sie fast erstickte. Die Katze kämpfte natürlich hysterisch, um sich zu befreien, kratzte und biß, und beim nächstenmal war es dann nicht mehr so leicht, sie wieder zu erwischen. Sie lief weg. Ich bekam sie zu fassen. Sie zappelte und kratzte. Ich drückte sie nur um so fester. So ging das immer weiter.
Eines Tages muß irgendwas in ihr kaputtgegangen sein. Sie starb ganz einfach. Ich legte sie in den Mülleimer.
Ich bin behutsamer geworden mit den Jahren.
Wir kommen heute abend nicht mehr weiter. Es besteht nicht die geringste Chance, und ich kann kaum etwas Reizvolles daran finden, im Bahnhof von Skövde herumzuhängen
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