Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
oder in einem schlecht geheizten Wartesaal zu frieren.
Es zeigte sich, daß das Hotel Billingen in Skövde fast gegenüber vom Bahnhof lag, wo einsame Lampen im starken Schneesturm schwankten. Es war so viel Schnee gefallen, daß wir mit Müh und Not den Platz überquerten, uns einen Weg durch den Schnee bahnend. Ich trug ihre Koffer, wir marschierten ins Foyer und fanden uns mitten in einem fürchterlichen Streit zwischen dem Portier, einem freundlichen kleinen Dänen, und zwei unglaublich flegelhaften, angetrunkenen jüngeren Herren, die unentwegt herumnörgelten, daß irgendwas »schlechter Sörrvis « sei.
Ich wartete fünf Minuten (ich kann nicht warten, habe es nie so recht gekonnt), dann verlangte ich ein Doppelzimmer, in einem so entschiedenen Ton, daß sie alle völlig aus dem Konzept kamen und der Portier mir den Schlüssel und das kleine Formular zum Ausfül-len praktisch zwischen zwei Repliken zusteckte. Der jüngere von den beiden Herren hatte mittlerweile angefangen, dem Portier zu drohen, daß es ihm schlecht ergehen würde, wenn er nicht täte, was sie sagten. Der Portier begann jetzt ernstlich wütend zu werden, seine sehr beherrschte Portiermaske hatte sich in etwas erheblich Verbisseneres verwandelt, und das letzte, was ich hörte, als wir die wuchtige Treppe hinaufspazierten, war, daß der zweite der beiden Herren sagte:
– Wie reden’se denn eigentlich überhaupt? Sie können ja noch nicht mal richtig Schwedisch!
– Die schwedischen Provinzhotels sind immer voll von komischen Typen, die unbedingt auf dem Portier rumhacken müssen, sagte ich. Deshalb wird man in schwedischen Provinzhotels auch nicht besonders höflich behandelt. Und etwas so entsetzlich Undemokratisches, wie einem zu zeigen, wo das Zimmer liegt, ist für sie undenkbar. Ich weiß nicht, wie viele Jahre es schon her ist, seit ich zuletzt in einem schwedischen Provinzhotel eine Tasse Tee aufs Zimmer bekommen habe.
– Vielleicht gibt es trotzdem irgendeinen Speisesaal da unten, sagte Agneta Tillich. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich hungrig.
Das machte mich für einen Augenblick ganz unsicher, bis mir klar wurde, daß ich selbst genauso ausgehungert war. Sie machte nicht die geringste Bemerkung über diese Sache mit dem Doppelzimmer. Wir stellten das Gepäck hinter der Tür ab. Es war ein ganz normales schwedisches Hoteldoppelzimmer, mit elektrischen Vorrichtungen, um den Wecker zu stellen und das Radio an- und abzuschalten. Ich weiß nicht, in wieviel verschiedenen Hotelzimmern dieser Art ich in meinem Leben zwischen Kalmar und Luleå schon geschlafen habe, und sie sehen alle genau gleich aus. Ich zog sie sanft an mich. Ihr Hals fühlte sich ein bißchen älter an, als ich es mir vorgestellt hatte. Wie alt mochte sie wohl sein. Vielleicht dreiundvierzig? Sie entzog sich mir sanft.
– Du mußt entschuldigen, aber jetzt muß ich wirklich mal einen Moment verschwinden. Sie guckte noch einmal aus der Badezimmertür und sagte:
– Und dann mußt du dich schon damit abfinden, daß ich ein bißchen was zu essen haben will. Kannst du nicht schon runtergehen und einen Tisch besorgen?
Ich suchte mir meinen Weg durch die Gänge. Sie waren wirklich labyrinthisch. Einmal verirrte ich mich eine ganze Weile in irgendwelchen Festräumen, mit goldgerahmten Spiegeln, Stuck an der Decke und plüschbezogenen Stühlen.
Hier hatte natürlich die Garnison von Skövde früer einmal ihre Bälle veranstaltet. Charmante Leutnants tanzten mit klopfenden jungen Mädchenherzen unter langen weißen Spitzenkleidern.
Es waren sehr verlassene Räume. Nicht ohne eine gewisse Gemütlichkeit.
In einem anderen Gang irrten die beiden jungen Dänenhasser umher. Ich spielte mit dem Gedanken, sie gehörig auszuschimpfen, weil sie etwas so Widerliches getan hatten, wie die Sprachschwierigkeiten eines Mannes in einem Streit gegen ihn zu verwenden, sie Nazis, Rassisten und Flegel zu nennen, aber da sie zu zweit waren und doppelt so groß wie ich und da ich wahrlich Wichtigeres vorhatte, verzichtete ich darauf.
Ich bin ziemlich klein. Das irritiert mich nur dann, wenn ich jemand eins aufs Maul geben möchte, der stärker ist als ich, und wenn ich mich durch eine Volksmenge drängeln muß. Ich vermeide es immer, fast unbewußt, in eine Volksmenge hineinzugeraten. Allerdings passiert es, ungefähr im Abstand von zehn Jahren, daß ich jemand eine runterhaue; ich habe ein ziemlich hitziges Temperament.
Ich glitt auf eine recht geschmeidige Art an diesen beiden
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