Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
als stelle sie mir irgendeine Frage.
Ich habe eine Eigenschaft. Es beunruhigt mich, wenn Menschen ganz nah an mich herankommen. Ich bin bereit, ihnen alles zu geben, aber ich möchte nicht, daß sie mich auf diese Weise ansehen. Das ist irgendwie, als würde man vor Gericht gestellt.
Zutiefst habe ich eine gewisse Scham in mir.
– Oh du, sagte ich und legte die Hand auf ihren Mund.
– Es ist unheimlich schön, sagte sie.
– Was ist so unheimlich schön, sagte ich, ganz ernst und ohne zu lachen.
– Endlich einen richtigen Körper über sich zu haben, sagte sie.
Ich nahm ihr den feinen, weichen Büstenhalter ab. Die Brustwarzen waren straff gespannt. Ich berührte sie behutsam. Es gibt Leute, die von mir gesagt haben, ich sei ein recht guter Liebhaber. Ich habe das nie als eine besondere Eigenschaft von mir betrachtet, sondern eher als etwas, das man mir aus reinem Zufall unterstellt. Gewisse Menschen stimmen zufällig gut mit meinem Nervensystem überein, andere nicht.
Ich brauchte sie nicht länger als einen Augenblick zu berühren, bevor dieses Schlängeln und Stöhnen wieder begann. Ich spürte, daß ich meine gewohnte Kontrolle über die Dinge zu verlieren begann; sie fühlte sich jetzt sonderbar hart an, während ich ihn ihr mit immer heftigeren, immer rücksichtsloseren Bewegungen hineinstieß. Sie umschloß ihn jetzt wie eine Hand, die etwas umschließt. Sie atmete sehr heftig und stieß immerzu kleine rhythmische Schreie aus.
Diese Frau war keineswegs unerfahren. Sie hatte schon manches erlebt, hatte manches begriffen. Ich möchte wissen, was für Menschen schon mit ihr geschlafen haben.
Im selben Augenblick kam er, als schwache, aber deutlich pulsierende Bewegung, überraschend rhythmisch, geheimnisvoll wie ein Puls tief aus einer Unterwelt, von der wir nicht viel wissen. Der vaginale Orgasmus. Und mein eigener natürlich gleichzeitig.
Es ist sonderbar, dachte ich. Ein paarmal ist er mir in meinem Leben schon begegnet.
ABER NIE BEI JEMAND ANDERS ALS EINER GANZ FREMDEN.
Gegen drei Uhr in der Nacht verließ sie das Bett und ging ins Badezimmer. Ich drehte mich so, daß ich zum Fenster hinaussehen konnte, das heißt, ich mußte zuerst die Gardine zur Seite schieben, bevor ich hinaussah. Eine große altmodische Straßenlaterne, eine von denen, die wie eine Traube aussehen, stand direkt vor dem Hotel. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wo ich mich eigentlich befand. In Skara? In Skövde? In Linköping? Ein Betrunkener torkelte ein paar hundert Meter weiter weg um den Zeitungsstand am Bahnhof herum. Höchstwahrscheinlich hinterließ er Spuren im Neuschnee. Es hatte jetzt aufgehört zu schneien, oder vielmehr fast aufgehört.
Ich hörte die Spülung draußen in der Toilette gehen, sie kam zurück, kroch neben mir ins Bett und schlang wortlos die Arme um meine Hüften.
Sie umschloß ihn mit ihren Lippen, und ich dachte an ihre vollen Lippen, die sie immer mit einem zart violett getönten Lippenstift nachgezogen hatte. Ob von dem Lippenstift wohl noch etwas übrig war?
Bald waren wir wieder mittendrin.
Ein Hund, dachte ich. In jedem Menschen ist ein Hund verborgen. Wir haben Angst vor diesem Hund, denn wenn er zu bellen beginnt, argwöhnen wir, daß alles viel einfacher sei, als wir es uns vorgestellt haben . Wenn das rauhe, muntere Gebell eines Hundes von den Lehmäckern des Unterbewußtseins herauftönt, dann ist es, als verstumme die menschliche Stimme, fast als sei sie eine Krankheit. Wir wollen nicht wach sein. Wir wollen nicht bewußt sein. Wir wollen nicht mit harten, trockenen, abstrakten Worten reden, die wie feine Schneeflocken herabfallen, wir wollen eigentlich überhaupt nicht reden. Es ist, als sei die Vernunft eigentlich nur eine Art Krankheit. Im Orgasmus, in den großen Orgasmen, ist etwas von der Weigerung des Geisteskranken zu reden, etwas von der blinden Wut des Mörders, der seine Axt in den Schädel eines Unschuldigen rammt. Wenn die Vernunft nun bloß eine Art Krankheit, eine Mutation wäre. Vielleicht wird die Menschheit sie besiegen, genauso wie sie jetzt dabei ist, die Pocken zu besiegen. Die Menschheit des fünften Jahrtausends, reduziert auf drei oder vier Millionen Exemplare, konzentriert auf die Fidschis, die neuen Hebriden und noch ein paar andere Inselgruppen, die die Radioaktivität am besten überstanden haben, in den Bäumen herumkletternd und unentwegt kopulierend.
DIESER GEDANKENGANG IST EINDEUTIG FASCHISTISCH sagte ich mir. Ich
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