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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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öffnete das Fenster einen Spaltbreit, und die kalte Winterluft drang zaghaft herein. Es war noch viel von ihren Düften im Zimmer. Ziemlich schwere. Eine Dame, eine reife Frau. Bald würde sie winzige Krähenfüße um den Hals herum bekommen und anfangen, ein bißchen geziert, ein bißchen affektiert zu sprechen, wie skandinavische Frauen der höheren Gesellschaft es gern tun, wenn sie in die Wechseljahre kommen. Vielleicht würde es ein bißchen länger dauern, wenn jemand sich ihrer annähme, wenn jemand den Hunger stillen könnte, der in ihr brannte.
    SEIT WANN IST ES FASCHISTISCH, FÜR DEN ORGASMUS ZU SEIN.
    DER FASCHISMUS IST EIN ERSATZ FÜR DEN ORGASMUS.
     
    Es hallte immerzu in mir wider, und ich dachte an einen Bekannten, der gesagt hat, es sei unmöglich, mit einer Frau zu schlafen, die der konservativen Partei angehört. Ich habe ihm geantwortet, unterhalb des Nabels gebe es keine konservative Partei, und das hat ihm dann lange zu denken gegeben. Es war ein Typ vom volkswirtschaftlichen Institut in Uppsala, ich habe seinen Namen völlig vergessen.
    ABER IMMER NUR MIT FREMDEN.
    Warum gibt es Erotik nur unter Fremden? Weil das Erotische dem Menschen niemals fremd ist. Nur das andere, stört, wenn es nicht mehr fremd ist. Das Vertrauliche übertönt die Stimmen des Namenlosen von den herbstlichen Äckern des Unterbewußtseins.
     
    Ich machte einen Augenblick das Licht an, um nachzusehen, wie spät es sein mochte, es war immer noch um drei Uhr herum. Ein Streifenwagen las gerade den Betrunkenen drüben am Zeitungsstand auf, der Schnee dämpfte alle Stimmen und Geräusche, so daß lediglich die Autotür zu hören war, als sie schließlich dezent zugeschlagen wurde.
    Als ich mich wieder zum Zimmer umdrehte, lag sie auf dem Ellbogen und sah mich wieder mit diesen neugierigen, fragenden Augen an. Sie sah sehr fremd aus, als sähe ich sie zum ersten Mal, als frage sie sich, wie sie hier gelandet sei.
    Es war etwas sonderbar Erregendes an der Art, wie sie mich ansah.
     
    Als Junge war ich ziemlich klein geraten, und ich hatte keinen besonders guten Kontakt zu den Kameraden aus dem Viertel. Als wir dorthin umgezogen waren, von den westlichen Stadtteilen in die östlichen, es war im Jahre 1942, ich erinnere mich, daß das Baumaterial so knapp war, daß man altes feuchtes Stroh als Füllung für die Zwischenböden bei den Neubauten in der Umgebung benutzte, gab es da eine ganze Menge kräftige Burschen, die mich zu ärgern pflegten.
    Damals trugen die Gymnasiasten in Västerås eine ganz bestimmte Art von blauen Mützen. Das hatte natürlich eine soziale Bedeutung, es unterschied sie von den anderen Jungens. Und ich erinnere mich, wie ich zum erstenmal mit so einer nagelneuen Mütze im Viertel auftauchte, die ganze Clique stand gerade mit ihren Fahrrädern an der Ecke der Kristiansborgsallee, sprang einer davon sofort vom Rad, stürzte sich auf mich und schlug mir die Mütze vom Kopf. Sie hatte eine schöne blaue Farbe, und es bekam ihr gar nicht, im Schmutz zu landen.
    Der Bursche war sommersprossig, etwa doppelt so groß wie ich, er war der Sohn eines protzigen Autohändlers, der in einer Villa mit zwei Garagen auf der gegenüberliegenden Seite der Allee wohnte.
    Verteidigte er irgendwelche sozialen Privilegien? Ich weiß nicht mehr, ob er auch aufs Gymnasium ging, aber ich glaube es fast. Er schlug mir die Mütze nicht deshalb vom Kopf, weil er sich von irgend etwas ausgeschlossen fühlte, sondern weil er sie nicht an mir sehen wollte.
    Es kann nicht anders gewesen sein.
    Dieser Bursche hatte eine gewisse Autorität in der Clique. Es war zu der Zeit, als Fahrräder mit Gangschaltung noch etwas sehr Rares und Schickes waren, und er gehörte zu den wenigen, die eins besaßen.
    Das war auch der Grund dafür, daß er eine gewisse Führerposition im Viertel einnahm, wie selbstverständlich. Wenn er mir die Mütze vom Kopf schlug, dann tat er das sozusagen auch im Namen aller anderen.
    Er stand nachlässig an das schicke Fahrrad gelehnt, während ich mich bückte und sie auflas. Er würde sie mir bestimmt noch mal vom Kopf schlagen.
    Als er sich vorbeugte, um es zu tun, verpaßte ich ihm sehr nachdrücklich einen Schlag genau zwischen die Augen. Er war völlig unvorbereitet und fiel wie ein Baum rücklings übers Fahrrad, kriegte dabei die Lenkstange in die Seite, so daß er minutenlang nicht mehr normal atmen konnte.
    Ich dachte, die Clique würde sich nun auf mich stürzen, aber es kam ganz anders. Sie stellten sich

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