Ritterturnier auf Schreckenstein
Ruhe vor dem Wurm
Insgeheim beneideten die Jungen der beiden Neustädter Schulen die Schreckensteiner droben auf ihrer Burg. Nicht, weil diese sich Ritter nannten. Das war vielmehr ein ständiger Anlaß zu Hohngelächter und Frotzeleien, die nur zeigten, wie gern sie selbst dazugehört hätten.
Die Ritter, ursprünglich Neustädter Schüler auch sie, waren jedenfalls ausgemachte Glückspilze. Seinerzeit, als in Neustadt Schulraumnot herrschte, hatte Graf Schreckenstein die Hälfte seiner Burg als Ausweichquartier angeboten. Ohne zeitliche Begrenzung. Die großzügige Geste war von den Zuständigen nach reiflicher Überlegung angenommen worden. Wegen der Entfernung – vierzig Kilometer immerhin – hatte man sich mit den Eltern dahingehend geeinigt, daß die Jungen auf der Ritterburg auch wohnen und verpflegt werden sollten wie in einem Internat.
Was dabei geschah, übertraf die kühnsten Erwartungen. Mit der neuen Umgebung änderte sich für die Jungen alles, ihr Verhältnis zu den Eltern, zu den Lehrern, ihre ganze Einstellung. Fortan sahen sie sich als Nachfahren der Ritter und verhielten sich entsprechend. Kein hämisches Grinsen, keine bissige Bemerkung konnte sie von ihrer selbstgewählten Lebensweise abbringen.
Am wenigsten beneidet wurden die Schreckensteiner von den Neustädter Sportskanonen, wie Florian zum Beispiel, Schüler der Franz-Joseph-Schule. Bei Wettkämpfen gegen die Burg gewann er die 400 Meter sozusagen im Abonnement und stand bei seinen Mitschülern hoch im Kurs.
Zwei Wochen seiner Ferien hatte Florian mit Trompeteüben zugebracht, zwei weitere Wochen war er bei seiner Tante Thekla „geparkt“ worden, wie er das nannte. Mit Tante Thekla verband ihn etwas Besonderes. Wer hat schon eine Hellseherin in der Familie, die einem unentgeltlich die Zukunft voraussagt, die einen in die rätselhaften Welten des Übersinnlichen entführt und dabei einfach, verständnisvoll und nett ist?
Diesmal hatte es die Tante mit den grünen Augen allerdings ebenso spannend wie sparsam gemacht: „Wenn die Schule wieder losgeht, wird es eine große Aufregung geben, für alle Schüler in der ganzen Umgebung!“
Mehr war nicht aus ihr herauszubringen gewesen. Selbstverständlich hatte Florian seinen Freund Jens von dem mageren Ergebnis unterrichtet.
Jens, der in derselben Straße wohnte und mit Florian in die Klasse ging, war sofort zu dem einzig richtigen Schluß gekommen: „Ganze Umgebung…! Dann gibt’s was mit den Schreckensteinern. Wird auch mal wieder Zeit! Lassen wir uns überraschen.“ Florian dachte genauso wie sein Freund, darum stellten sie keine weiteren Mutmaßungen an.
Da die Hellseherin in der Familie bekannt, und ihre Voraussage kein Staatsgeheimnis war, hatte Jens irgendwann beim Essen davon erzählt. Nun hatte Jens einen älteren Bruder, den langen Andreas, ein Hochsprung-As, der in der Ebertschule zur führenden Clique gehörte.
„Soso!“ hatte Andreas nur gesagt, seine Freunde aber sofort unterrichtet. Udo vor allem, den Rechtsanwaltssohn, der das schwere Motorrad seines Vaters gelegentlich zu Spritztouren entwendete. Und Jerry, Udos Vetter und ehemaligen Schreckensteiner, der sich in Neustadt wohler fühlte, weil er da rauchen und Bier trinken konnte, was die Ritter ja strikt ablehnten.
Auch ihr Kommentar zu der Neuigkeit war sehr sparsam ausgefallen. „Aufregung ist immer gut. Lassen wir uns überraschen!“
Gerüchte schwirren unkontrollierbar durch die Gegend. Bis hinaus in das Mädcheninternat Schloß Rosenfels, auf dem Hochufer des Kappellsees der Burg Schreckenstein gegenüber gelegen, hatte sich die Voraussage der Hellseherin schon herumgesprochen. Das Café Capri am Stadtplatz von Neustadt galt auch in den Ferien als beliebter Treffpunkt.
„Was sagt das schon, wenn eine alte Hellseherin ihren Neffen erschrecken will, damit er sich nicht langweilt?“ meinte Beatrix schnippisch. Und die besonnene Sophie gähnte gar: „So viel Hellseher bin ich auch! Für Aufregung sorgt unsere geliebte Chefin, Fräulein Doktor Horn. Und was die Umgebung betrifft, da müssen sich die Ritter drüben erst mal was einfallen lassen, das uns aus den Federn haut.“
„Da kannst du lange schnarchen! Die unternehmen wahrscheinlich was gegen Neustadt. Oder die Neustädter gegen sie“, vermutete Ingrid.
„Woraus schließt du das?“ fragte Anke, die Neue. Ingrid konnte zeigen, wie scharfsinnig sie dachte. „Wenn ich die Tante richtig verstanden habe, passiert das alles in Neustadt.
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