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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Vorderfront in der knappen Bluse –, und dann beschrieb er Mrs. McCormick, was sie angehabt hatte, und wie er von der alten Lady, Mrs. Dexter, ausgefragt worden war. All das war nett, er genoß es. Doch als er zu Mrs. McCormicks – Katherines – Zusammenbruch kam, da konnte er ihn einfach nicht richtig schildern, nicht einmal ansatzweise. »Sie war wie ein Kind«, sagte er und versuchte die Szene mit den Händen nachzubilden, »wie ein kleines, verirrtes Kind. Mitten in Hamiltons Sprechzimmer fing sie an zu weinen, und weder ihre Mutter noch irgend jemand sonst konnte etwas tun. Es war so... ich hätte beinahe selbst geweint.«
    »Na sicher«, sagte Nick. Er sprach knurrend wie ein Kettenhund, und der Rauch seiner Zigarette ließ ihn die Augen zusammenkneifen, bis sie nur noch kleine Schlitze in der kahlen Wand seines Gesichts waren. »Und das soll wohl beweisen, daß sie ein Mensch ist, genau wie wir Bauern?«
    Pat kicherte. Marts Blick irrte über den Tisch. In der Nähe der Theke krachte es, darauf folgte ein Fluch und dann ein kurzer Applaus. Nick saß reglos da, riesenhaft und mit zusammengekniffenen Augen, und beobachtete O’Kane.
    Auf einmal spürte O’Kane die Wut in sich aufwallen – was wußten die denn schon, sie waren ja nicht dabeigewesen, keiner von ihnen –, und ehe er weiter nachdenken konnte, verteidigte er sie, die Eisprinzessin höchstpersönlich. »Du kannst noch so kaltschnäuzig sein, Nick, und ich sag dir, ich war genauso, wirklich – bis heute früh. Aber weißt du, weswegen sie losgeheult hat? Wegen Dr. Hamilton. ›Keine Besucher‹, sagte der, ›nicht einmal seine Frau‹, und das hat ihr wirklich zugesetzt. Die Frau liebt ihren Mann, ganz egal, wie verrückt er ist, und sie möchte bei ihm sein – so einfach ist das. Und mich kümmert’s nicht, was du dazu meinst.«
    Darauf waren sie alle still, zogen an ihren Zigaretten und schoben gemessen ihre Gläser auf dem Tisch herum, und alle drei betrachteten ihn aus identischen Augen. Dann sagte Pat nachdenklich: »Angeblich geht’s ihr doch nur ums Geld. Ihr Alter ist im Irrenhaus, und sie kann die ganzen McCormick-Millionen praktisch einsacken.«
    »Ist sogar nach dem Gesetz berechtigt dazu.« Nick massierte seinen Zigarettenstummel im Aschenbecher. Sein Kopf schwebte nach oben wie ein Luftballon, hüpfte an der straffen Schnur seines Halses über dem Tisch. »Solange die McCormicks sie nicht auszahlen oder die Ehe annullieren lassen. Sie ist seine Frau, und damit hat sich’s. Aber mal ganz abgesehen davon – ich würde sagen, Eddie hat sich in sie verguckt, stimmt’s, Eddie?« Er lehnte sich zurück, die Arme vor der Brust verschränkt, und griente seine Brüder an. »Wer wird wohl Rosaleen die schlechte Nachricht überbringen – du vielleicht, Pattie? Oder du, Mart?«
    Alle drei lachten los, klatschten auf den Tisch und bohrten sich die Finger in die Ohren, während O’Kane ein dümmliches Grinsen aufsetzte und den Kopf senkte – alles Teil des Rituals. Innerlich aber kochte er: sie hatten ja keine Ahnung, waren nicht dabeigewesen, hatten sie nicht gesehen.
    »Aber wie ich schon sagte«, fuhr Nick fort, und vom Rauch und vom Alkohol war seine Stimme jetzt so rauh, daß sie nur noch wie ein Krächzen klang, »abgesehen davon hat Dr. Hamilton ganz recht, vollkommen und ohne jede Frage – man darf Mr. McCormick keine Besucher gestatten, und schon gar nicht seine Frau. Und ebensowenig seine Mutter oder seine Schwester – oder überhaupt irgendeine Frau. Jedenfalls nicht nach dem, was er dieser kleinen Krankenschwester aus Rhode Island angetan hat, wie hieß sie noch – Florabelle? Christabel? So ähnlich.«
    »Arabella«, sagte O’Kane. »Arabella Doane.«
    Nick schüttelte den Kopf, und jetzt lachte niemand mehr. Alle starrten in die langen Tunnel ihrer Biergläser, streckten die Beine unter dem Tisch aus und schauten sich geistesabwesend um, als sähen sie die Bar zum erstenmal. Mart unterdrückte einen Rülpser und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Das war ein Verbrechen«, sagte Nick schließlich, »ein echtes Verbrechen. Und ganz ehrlich, ich frage mich, weshalb ich eigentlich für so einen Mann bis nach Kalifornien fahren soll.«
    Dazu konnte O’Kane nichts sagen. Er dachte an Arabella Doane. Sie war ein Schatten in einem dunklen Winkel seiner Gedanken, eine Katze, die man kurz hochhob, um sie zu streicheln, und wieder absetzte, wenn sie zu schnurren aufhörte. Er erinnerte sich an ihr Haar –

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