Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
– obwohl ihm schon erster Flaum im Gesicht wuchs -, lachte sie, öffnete ihren Beutel und drückte ihm einige toulzas in die Hand. Sie wies ihn an, nach dem Verzehr der Leckerei wieder ins Lager zurückzukehren. Sie habe etwas zu erledigen, man solle sich nicht um sie sorgen, auch wenn es etwas später würde.
Aufmerksam durchstreifte Rixende den Markt, doch von Lusitana war weit und breit keine Spur. Ob sie wieder nach Hause gezogen war, in ihren geheimnisvollen Ort in den Schwarzen Bergen, wo die Frauen das zweite Gesicht besaßen? Rixende erstand die Maronen und etliches mehr, ließ alles auf das Kerbholz der Firma Fabri ritzen und ins Rote Haus bringen, dann suchte sie weiter. Der Honigverkäufer schrie sich beinahe die Seele aus dem Leib, und ein Däubler pries jedem Vorübergehenden seine besonders zarten Täubchen an, jeweils sechs an der Zahl, an den Füßen zusammengebunden, damit sie ihm nicht wegflogen. Die seltsame, alles durchdringende Drosselpfeife des Vogeljägers, die Rixende verabscheute, sollte auf leckere „Spießvögel“ aufmerksam machen: gemästete Fettammern, knusprige Lerchen, Stieglitze und Finken. Doch schon in Gavarnie als Kind hatte sie es abgelehnt, Singvögel zu essen, was der Bayle nie hatte verstehen können. Mehr als einmal hatte sie geschrien, wenn er mit den auf Wacholderstecken aufgespießten toten Vögeln nach Hause kam, man sollte sie wieder lebendig machen, und sich, als sie am Abend gebraten auf den Tisch kamen, heulend und mit hungrigem Magen auf ihren Strohsack geworfen.
Jetzt stellte sie sich unter die Regentraufe eines säulengestützten Bürgerhauses und beobachtete aufmerksam das bunte Treiben. Zweimal glaubte sie, die Wahrsagerin im Gewühl erspäht zu haben, doch jedes Mal sah sie sich getäuscht. Nach einiger Zeit gab sie ihren Standort auf. Sie begann in den umliegenden Gassen und Winkeln nach ihr zu fragen, beim Beutler, beim Fleischer und beim Saucenkoch. Jedermann kannte die Frau, doch gesehen hatte sie heute keiner. Gerade als sich Rixende voller Enttäuschung auf den Heimweg machen wollte, zupfte ein kleiner Junge an ihrem Pelz.
„Herrin“, sagte er und seine ungewöhnlich blauen Augen, die Rixende irgendwie vertraut vorkamen, strahlten. „Du suchst die Wahrsagerin?“
Rixende nickte.
„Du findest sie in der Schänke ´Zum Dreifuß`, in der übernächsten Gasse, gleich neben der Schmiede.“ Der Junge hielt seine kleine schmutzige Hand auf und sah Rixende erwartungsvoll an. Sie legte ihm eine Münze hinein und strich ihm über den lockigen Kopf. Ausgelassen hüpfte der Knabe davon.
Ob sie irgendwann auch einen so netten Jungen haben würde? Aimeric würde sich freuen, und der alte Fabri würde überstolz sein.
Fürs erste schob sie diesen schönen Gedanken beiseite und betrat bald darauf das windschiefe Haus, in dem sich die Schänke befand. Süßlicher Gestank und lautes Lachen schlugen ihr entgegen. In einer Ecke waren drei emsige Zimmermannsgesellen mit der Herstellung von Eichennägeln und Weberschiffchen beschäftigt. Den großen Tisch in der Mitte jedoch belagerten acht oder neun Kerle, fast alle voll wohl des billigsten Weines – und mitten unter ihnen saß Lusitana.
10
Fluch dir, du alte Wölfin, deren Zähnen
mehr als den andren all zum Opfer fällt ...
Dante, Die Göttliche Komödie
„Lusitana mein Schätzchen“, rief einer der Fuhrleute, denn um solche handelte es sich ihrer Kleidung nach, „wirf noch einmal die Knöchelchen für mich, du meines Herzens Schöne!“
Die anderen wieherten vor Lachen und schlugen sich auf die Schenkel. Zwei rissen sich gegenseitig den Krug aus den Händen, so dass der Wein auf den Tisch schwappte. Ein dritter jedoch sprang behände auf, packte die völlig überraschte Rixende am Arm und zog sie zu sich heran.
„Halt ein! Was willst du von mir“, fauchte Rixende den Mann mit dem fettigen schwarzen Haar an, der jedoch gar nicht daran dachte, sie loszulassen, sondern nur unverschämt grinste. „Elender Trunkenbold, gib mich augenblicklich frei!“ begann sie laut zu schreien, während sie auf ihn einschlug.
Doch der Fuhrmann duckte sich geschickt und hielt weiter ihren linken Arm mit eiserner Faust fest. „Ach, mein schönes Liebchen!“ stieß er ein ums andere Mal hervor und leckte sich die wulstigen Lippen.
Rixende bekam es mit der Angst zu tun. Weshalb kam ihr weder Lusitana noch keiner der anderen Anwesenden zur Hilfe?
„Will mir denn niemand helfen!?“ schrie sie fast atemlos und
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