Rixende ... : Historischer Roman (German Edition)
seiner Kette, so dass die Peitsche zum Einsatz kam, aber die Umstehenden waren beeindruckt von der Größe und Kraft des Tieres, und man war sich einig, dass Carcassonne einen solch mächtigen Bären niemals zuvor gesehen hatte.
Der Seneschall, der das Fest im Namen des Königs ausrichtete, hatte verfügt, dass am späten Nachmittag in den Lices – dem Gelände zwischen dem inneren und äußeren Mauerring - ein großes Scharlachrennen stattfinden sollte. Den „Französischen Kampf“, wie man die ernsthaften Lanzenturniere nannte, hatte Philipp der Schöne verboten. Der Sieger dieses Reiterstechens a plaisance – also mit harmlosen Waffen - sollte, nach italienischem Vorbild, neben dem Ruhm ein wertvolles Scharlachtuch zur Belohnung erhalten und obendrein eine Goldmünze. Der zweite Preis war eine Armbrust und der dritte ein Schwert. Der letzte würde – man befand sich schließlich in Carcassonne – ein Schwein bekommen. So zogen den ganzen Tag über Ritter in die Stadt, die sich selbst, ihre Knappen und auch ihre Pferde auf das prächtigste herausgeputzt hatten.
Rixende hatte sich ein Herz gefasst und war allen Lästermäulern zum Trotz zum Festplatz aufgebrochen. Als sie bei den „Liebesbäumen“, den stattlichen Platanen angekommen war, die den sonst so sommerlich verträumten Schlossplatz säumten, sah sie sich plötzlich umringt von wehenden Helmbüschen, flatternden Bändern, kunterbunten Fahnen und Standarten, und sie konnte sich nicht genug wundern über die Kleidung, die die Ritter trugen. Geschlitzte und zweifarbige Beinlinge, Samtwämse in allen Farben, prunkvolle Gürtel und Umhänge, bestickte Barette, silberne und güldene Ketten. Man hätte meinen können, dass manche an diesem Tag ihr halbes Vermögen mit sich herumtrugen.
Weil die Sonne heiß vom Himmel stach, gesellte sich Rixende zu Elias Patrice und seiner Frau, die sich auf den Ehrenbänken des Senats unter den schattigen Arkaden niedergelassen hatten, um von dort dem bunten Treiben zuzusehen. Elias freute sich, Rixende zu sehen, und auch die anderen Senatoren grüßten sie freundlich, wenngleich mit Zurückhaltung. Von der Porte Narbonnaise herauf schallte ordinäres Gelächter. Eine Anzahl von Dirnen - erkennbar an den grellgelben Tüchern, die sie trugen – strömte auf den Festplatz. Die älteren Konsulsgattinnen verzogen unwillig das Gesicht und warfen sich vielsagende Blicke zu, aber sie schwiegen, denn schließlich handelte es sich um die Ärmsten der Armen, die sich auf solche Weise ihren Unterhalt verdienten.
Am Schöpfbrunnen sah Rixende Benete und ihren Sohn stehen, verwickelt in ein Gespräch mit einer fremden Frau mit schneeweißer Haube. Die Köchin, ebenfalls im festlichen Gewand und mit neuer Haube, hatte eine riesige, bemehlte Brezel in beiden Händen, in die sie mit gutem Appetit hineinbiss.
Da, ein Aufschrei! Ein hellbraunes Ferkel raste laut quiekend über den Marktplatz.
„Ein Antonius-Schwein“, rief eine Stimme, und alle Leute lachten, weil es in Carcassonne gar keine Antoniter gab. Das Ferkel schrie erbärmlich, und weil ein paar Bürschlein es zu hetzen begannen, lief es in seiner Not auf die fremde Frau zu, die neben Benete stand, und brachte sie zu Fall. Alles lachte und amüsierte sich köstlich über das Missgeschick. Mit Aucassinnes Hilfe und unter Gezeter und Geschimpfe rappelte sich die Frau wieder hoch und säuberte sich, so gut es ging. Die Kinder jagten derweilen das aufgeregte Schwein zum Turm Major hinauf.
Elias Patrice hatte ein rotes Gesicht bekommen, als er die Festtagshaube der Frau im Dreck liegen sah. Auf seine Veranlassung hin, so erzählte er den Umstehenden, sei die Stadt und vornehmlich der Festplatz erst Tags zuvor gründlich von allem Unrat gereinigt worden, und nun läge schon wieder allerlei Mist auf dem Pflaster herum, Pferdeäpfel, Abfälle, Kot und Erbrochenes. Offenbar hätten einige schon seit den frühen Morgenstunden eifrig dem Met und dem Wein zugesprochen und sich danach einfach an Ort und Stelle entleert.
„Für wen eigentlich haben wir im Vadé-Turm Latrinen einbauen lassen!“ schimpfte er lautstark und wollte sich gar nicht mehr beruhigen.
Inzwischen hatten sich in der Nähe der Arkaden vier Spielleute niedergelassen, unter ihnen ein Flötenspieler, ein schmaler Bursche mit hellem, kurzem Haar unter einer grünen Samtkappe, dann einer, der die Laute zu zupfen verstand, und ein dicker, gemütlich aussehender Trommler im rotweißen Wams, der unternehmungslustig
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