Rob - Toedliche Wildnis
1
Irgendwas in seinem Leben lief völlig falsch. Leider hatte Rob DeGrasse keine Ahnung, was das sein konnte. Normalerweise übte der Blick aus seinem Büro auf die Bucht von Charleston eine beruhigende Wirkung auf ihn aus, heute jedoch nicht. Beim Anblick des Segelbootes, das hart am Wind über die Wellen jagte, krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen, und er wusste nicht wieso.
»Du siehst aus, als ob du dich im nächsten Moment aus dem Fenster stürzen würdest.«
Die Stimme seines Freundes ließ Rob zusammenzucken. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass jemand sein Büro betreten hatte, dennoch drehte er sich nicht zu Murat um. »Die Fenster lassen sich nicht öffnen, und durch die geschlossene Scheibe zu springen wäre dann doch übertrieben.«
»Stimmt. Du weißt, warum ich hier bin?«
Seufzend gab Rob nach und wandte sich um. Er zwang sich zu einem Lächeln, das vermutlich völlig misslang. »Ich fürchte, ja. Wer hat dich geschickt?«
»Deine Mutter. Sie hat mich gebeten, dafür zu sorgen, dass du rechtzeitig zu Hause bist. Also leg deine Akten zur Seite und komm mit.«
Seine Mutter? Und Rob hatte gedacht, der Tag könnte nicht noch schlimmer werden. Er hatte sich mit dem gemeinsamen Abendessen nur abgefunden, weil ihm kein vernünftiger Grund eingefallen war, diesen Termin zu vermeiden, hatte aber vorgehabt, erst in letzter Sekunde dort aufzutauchen. Offenbar hatte seine Mutter ihn durchschaut. »Ihr habt euch völlig umsonst Gedanken gemacht. Spätestens um acht Uhr wäre ich gekommen. Allerdings nicht alleine, sondern mit Sylvie.«
Die Ankündigung erzielte die gewünschte Wirkung. Mit einem gemurmelten Fluch setzte sich Murat auf einen der Besucherstühle und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
Dieses Mal war Robs Grinsen echt. Wegen seiner braunen Haare und blauen Augen war Murat nicht anzusehen, dass er aus Afghanistan stammte. Und es lag nicht an fehlenden Sprachkenntnissen, dass sein Freund in diesem Moment nach Worten suchte. Murat sprach Englisch ebenso fließend wie Rob Paschtu. Verständigungsprobleme gab es zwischen ihnen nicht, aber durchaus unterschiedliche Ansichten über einige wesentliche Dinge des Lebens. Und die kollidierten in den letzten Tagen ständig.
Schließlich seufzte Murat. »Du machst einen Fehler. Aber außer dich gewaltsam von deinem schwachsinnigen Plan abzuhalten, fällt mir nichts ein. Kommst du jetzt freiwillig mit oder muss ich doch andere Saiten aufziehen?«
Rob tat die unterschwellige Drohung mit einem Schnauben ab. »Überanstreng dich bloß nicht. Sylvie wollte mit ihrem eigenen Wagen fahren. Da kann ich ebenso gut jetzt mit der Arbeit aufhören. Wie bist du hergekommen?«
»Anas Mann hat mich hier abgesetzt. Das muss ja wirklich wahre Liebe zwischen euch sein, wenn ihr nicht einmal gemeinsam kommt und wieder zusammen nach Hause fahrt. Großartige Zukunftsaussichten, mein Freund.«
Rob zog es vor, die Diskussion nicht fortzusetzen. Im Zweifel konnte er nur verlieren, und er war ehrlich genug, den Funken Wahrheit in Murats Kritik zu erkennen. Aber nichts sprach gegen eine Revanche. »Bist du denn eigentlich bereit für die Begegnung mit meinen Brüdern? Dir ist hoffentlich klar, dass du ihnen heute nicht ausweichen kannst.«
Murat lächelte nur. »Die Anspielung kannst du dir schenken. Deine Brüder sind schon längst mit ihren Frauen eingetroffen, und Jay und ich haben alles miteinander geklärt, was es zu klären gab.«
Nun verstand Rob überhaupt nichts mehr. Er hatte bisher erfolglos versucht, zwischen seinem Bruder Jay, einem FBI -Agenten, und Murat zu vermitteln. Obwohl Murat in Amerika nichts Illegales getan hatte, war er Jay bisher nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen, da er sich in Afghanistan nicht unbedingt auf der richtigen Seite des Gesetzes bewegt hatte und Jay nicht in einen Gewissenskonflikt bringen wollte.
Murat zwinkerte ihm zu. »Bisher habe ich dich noch nie ratlos gesehen, Anwalt. Du hast einen Faktor vergessen: Beth. Sie hat mir einen Vortrag gehalten, bei dem Jay und Luc an ihrem unterdrückten Lachen fast erstickt wären. Leider nur fast.«
Rob erging es nicht anders. Schließlich gab er auf und lachte laut. Die Vorstellung gefiel ihm ausgesprochen gut. Wenn Beth, die ebenfalls FBI -Agentin war und nebenbei die Freundin von Jay, richtig loslegte, half eigentlich nur noch volle Deckung. Selbst sein Bruder Luc, ein Navy SEAL , zog es vor, sich nicht mit dem rothaarigen Temperamentsbündel anzulegen. »So ein Mist, dass ich das
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