Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
Guyana oberhalb des Amazonenstroms und nahe beim Orinoko, der gewöhnlich der große Fluß genannt wird. Der Kapitän beriet mit mir, welchen Cours er jetzt nehmen sollte, und war gewillt, da unser Schiff leck und arg zugerichtet war, direkt nach der brasilianischen Küste zurückzukehren; wogegen ich mich jedoch entschieden erklärte. Wir studirten hierauf die Seekarte und fanden, daß wir kein bewohntes Land antreffen würden, bis wir in den Bereich der karaibischen Inseln kämen. Deshalb beschlossen wir nach Barbados hinzusteuern, das wir, wenn wir uns seewärts hielten, um den Golfstrom der Bai von Mexiko zu vermeiden, binnen etwa fünfzehn Tagen zu erreichen hoffen konnten. Denn ohne unser Schiff auszubessern und für uns selbst Lebensmittel einzunehmen, wären wir in keinem Falle im Stande gewesen die afrikanische Küste zu erreichen.
In der erwähnten Absicht änderten wir nun den Cours und steuerten nach Westnordwest, um auf irgend einer der englischen Inseln Station zu machen. Aber es sollte anders kommen. Als wir uns unter 12°18' nördlicher Breite befanden, überfiel uns ein neuer Sturm und trieb uns mit solcher Gewalt nach Westen, daß wir aus dem Bereich aller zivilisierten Bevölkerung und in die Gefahr gerieten, selbst wenn uns die See verschonte, wahrscheinlich eher von Wilden gefressen zu werden, als wieder heim zu kommen.
In dieser traurigen Lage, während der Wind noch sehr heftig ging, erscholl eines Morgens von einem unserer Leute der Ruf »Land!« – Kaum aber waren wir aufs Deck geeilt, um zu schauen, wo wir uns befänden, so saß auch schon unser Schiff auf einer Sandbank. Sobald es fest lag, wurde es von den Wogen dergestalt überflutet, daß wir uns sämmtlich verloren glaubten und uns so rasch als möglich in die Kajüten zurückzogen, um vor den schäumenden Wellen Schutz zu suchen.
Niemand, der nicht Ähnliches durchgemacht hat, kann sich die menschliche Ratlosigkeit in solcher Lage vorstellen. Wir wußten nicht, wo wir uns befanden, ob das Land, an das wir getrieben waren, eine Insel oder ein Teil des Festlandes, ob es bewohnt sei oder nicht. Auch mußten wir, da der Wind zwar ein wenig gemäßigt, aber immer noch sehr heftig war, jeden Augenblick fürchten, das Schiff werde in Trümmern gehen, wenn nicht wie durch eine Art Wunder der Wind plötzlich umschlage. Wir schauten Einer den Anderen in Todeserwartung an, und Jeder von uns machte sich zum Eintritt in eine andere Welt bereit. Ganz gegen unser Erwarten jedoch zerbarst das Schiff nicht, und, wie der Kapitän versicherte, begann der Wind sich plötzlich zu legen.
Trotzdem aber, da wir auf dem Strande saßen und keine Hoffnung hatten, das Schiff flott zu machen, blieb uns in unserer traurigen Lage Nichts übrig, als darauf zu denken, wie wir das nackte Leben retten könnten. Vor dem Sturm hatten wir am Stern unseres Schiffes ein Boot gehabt, das aber während des Unwetters ans Steuerruder geschleudert, dann los geworden und entweder versunken oder fortgetrieben war. Wir hatten zwar noch ein anderes Boot an Bord, aber es schien unmöglich, dasselbe in See zu bringen. Zu langem Besinnen jedoch fehlte die Zeit, da wir jede Minute das Schiff in Stücken zu sehen meinten, und Einige riefen, es sei bereits geborsten.
Trotz dieser schlimmen Lage gelang es dem Steuermann, mit Hilfe der übrigen Mannschaft jenes Boot über Bord zu lassen. Wir sprangen alle, elf an der Zahl, hinein, uns der Barmherzigkeit Gottes und dem wilden Meere gänzlich überlassend. Denn wiewohl der Sturm sich bedeutend gemindert hatte, gingen die Wogen doch noch furchtbar hoch, und man konnte hier mit den Holländern die stürmische See in Wahrheit »den wild Zee« nennen.
Unsere Not war immer noch groß genug. Wir sahen klar voraus, daß das Boot sich in den hohen Wellen nicht halten könne, sondern untergehen müsse. Segel hatten wir nicht, hätten auch Nichts damit anfangen können. Daher arbeiteten wir uns mit den Rudern nach dem Lande hin, aber schweren Herzens, wie Leute, an denen ein Todesurteil vollzogen werden soll. Denn es war uns bewußt, daß das Boot, näher zur Küste gelangt, von der Brandung in tausend Stücke zerschmettert werden müsse. Gleichwohl, indem wir unsere Seelen Gott befahlen, ruderten wir mit allen Kräften nach dem Land hin, mit eigenen Händen unserem Verderben entgegen.
Ob die Küste aus Fels oder Sand bestehe, ob sie flach oder steil sei, wußten wir nicht. Der einzige Hoffnungsschimmer, der uns noch geblieben, bestand in der
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