Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
wenn man wie der später ermordete Höllenengel Robert K. von der gegnerischen Seite zusammengeschlagen worden ist, erzählt man, man sei von einer Leiter gefallen. Selbst wenn man sich wie der Hells Angel André Sommer mit einem abgebrochenen Messer im Rücken selbst ins Krankenhaus einliefern muss, kann man sich angeblich an nichts erinnern. Und selbst wenn man wie der Bandido Heino B. nach einem Stich in den Bauch um sein Leben ringt, steht eines unumstößlich fest: Man hält die Klappe!
In der Welt der Rocker regelt man die Dinge lieber unter sich, alttestamentarisch, nicht rechtsstaatlich: Wie du mir, so ich dir, ist die Devise, wobei die Gangs bei der Revanche gerne immer eine Schippe drauflegen, was nicht unbedingt zur allgemeinen Befriedung beiträgt. Aber das ist ein anderes Problem. Das erste Gebot der Motorradbanden lautet jedenfalls: Du sollst nie, nie, nie beim »Trachtenverein« aussagen.
Für Polizei und Staatsanwaltschaften bedeutet diese Verschwiegenheit der Szene wiederum, dass ihnen Einblicke in das Binnenleben der Rockerwelt selten gelingen. Hinzu kommt, dass bei der geltenden Rechtslage in Deutschland verdeckte Ermittler in einer Rockergang noch unwahrscheinlicher sind als ein Hells Angel als Bundesinnenminister. Anders als etwa in den USA dürfen Undercover-Polizisten hierzulande keine Straftaten begehen – was auch die Rocker wissen. Daher achten sie zum Beispiel bei einer Kneipenschlägerei sehr genau darauf, wer zulangt und wer lieber Platz behält.
Bleiben also noch die Ehemaligen. Denn wenn die Gangs auch den Eindruck erwecken wollen, sie seien ein Bund fürs Leben, sieht die Realität doch anders aus. In der Praxis ist es durchaus möglich, die Clubs zu verlassen – wie so oft ist das lediglich eine Frage des Verhandlungsgeschicks und des Geldes. Es gibt Hunderte, vielleicht Tausende Ex-Rocker in Deutschland, und viele von ihnen schieden nicht im Guten. Doch auch die Ausgestoßenen wissen, dass sie besser dichthalten, als ihren früheren »Brüdern« noch nachträglich einen einzuschenken. Andernfalls kann es auch im zivilen Leben ziemlich ungemütlich werden.
Es finden daher überhaupt nur noch die den Weg zu Polizei und Staatsanwaltschaft, die bis über beide Ohren selbst in Schwierigkeiten stecken. Diese Männer sind in einer fast ausweglosen Lage und suchen einen Handel mit den Behörden, Informationen gegen Milde: Ich erzähle euch etwas, dafür muss ich nicht so lange ins Gefängnis. Natürlich ist es für die Rocker-Anwälte da oft ein Leichtes, den Leumund dieser kriminellen Kronzeugen in Zweifel zu ziehen.
Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten. Aussteiger wollen sich meist so teuer wie möglich verkaufen und neigen daher zu Übertreibungen. Zudem sind diese Männer nicht selten psychisch labil oder abhängig von Drogen. Sie befinden sich in einer Situation, in der sie nicht nur mit dem Wichtigsten in ihrem bisherigen Leben vollständig gebrochen haben, sondern auch um ihre Sicherheit und die ihrer Angehörigen fürchten müssen.
Doch auch ihre Gegenseite ist nicht vollkommen neutral und über jeden Zweifel erhaben. Anders als etwa in den Vereinigten Staaten werden die deutschen Zeugenschutzprogramme meist von den Ämtern organisiert, die auch die Ermittlungen führen – und die deswegen Erfolge sehen wollen. Da ist es nicht ausgeschlossen, dass ein ehrgeiziger Kriminalist schon einmal etwas mehr Druck auf den Aussteiger ausübt, als eigentlich zulässig (und sinnvoll) wäre.
Nein, man kann nicht sagen, dass Ex-Rocker immer exzellente Quellen sind, um mehr über das Binnenleben der Clubs zu erfahren. Aber die Behörden haben nun einmal kaum bessere Möglichkeiten – weshalb sie sich auf Typen wie die folgenden einließen.
Der Kugelblitz phantasiert
Steffen R. ist ein kleiner, massiver Mann, den frühere Weggefährten wegen seiner Leibesfülle »Kugelblitz« nennen. Bis die Polizei ihn im Mai 2011 verhaftete, war R. Gründer und Präsident der Legion 81 in Kiel, eines Unterstützerclubs der dortigen Hells Angels, zuständig für Grobheiten aller Art und die Drecksarbeit im Milieu.
Seine Karriere ist in vielerlei Hinsicht typisch für einen Rocker, der Halt sucht, Schutz und Stärke, feste Regeln und klare Ansagen. Geboren in Naumburg an der Saale (Sachsen-Anhalt), wuchs Steffen R. zunächst bei seinen Großeltern auf. Er war sieben, als er zu seinen Eltern und den sieben jüngeren Geschwistern zog. Der Alltag sei von Alkoholmissbrauch und sexuellen Übergriffen
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