Römischer Lorbeer
nichts weiter
als ein Umhang, ein Kleidungsstück, das die Menschen an- und
ablegen. Eine Verkleidung, wenn man so will. Meint Ihr nicht
auch?«
Der kleine Mann sah
mich mit funkelnden Augen an - war er fasziniert oder hatte er nur
seinen Becher zu rasch geleert? Seine Begleiterin hielt ihr Gesicht
weiterhin im Schatten, doch wieder spürte ich die Hitze ihres
Blickes. »Ein Name ist nicht dasselbe wie ein Ding«,
flüsterte sie schließlich.
Ich nickte. »So
hat man es mir vor vielen Jahren beigebracht - in Alexandria, um
genau zu sein. Und doch haben wir ohne Namen keine
Möglichkeit, miteinander über das zu sprechen, wofür
diese Namen stehen.«
Der wollene Umhang
stimmte mir mit einem ernsten Nicken zu.
»Ein Gegenstand
heißt auf Griechisch so, auf Lateinisch wieder anders«,
fuhr ich fort. »Doch er bleibt trotzdem derselbe. König
Ptolemaios von Ägypten beispielsweise ist König
Ptolemaios, egal, ob wir ihn mit dem griechischen Titel basileus
oder dem lateinischen Titel rex anreden.«
Der Gestalt in der
Stola stockte der Atem, und sie schien im Begriff, etwas zu sagen,
hielt sich dann aber doch zurück.
»Genauso
verhält es sich mit den Göttern selbst«, dozierte
ich weiter. »Die Römer nennen den Vater aller
Götter Jupiter, die Griechen Zeus. Jupiter« ist die
lauthafte Nachbildung eines Donnerschlags in der Luft, während
›Zeus‹ den Klang eines surrenden Blitzes nachahmt. So
vermitteln Namen dem Ohr, was das Auge des Menschen wahrnimmt, wie
unvollständig auch immer.«
»Genau!«
flüsterte mein Gast. Er neigte den Kopf, so daß man
seine Augen sehen konnte, die mich mit der Erregung eines Lehrers
fixierten, der einen Schüler eine lange zurückliegende,
aber nie vergessene Lektion wiederholen hört.
»Trotzdem sind
Namen keine Dinge«, sagte ich, »und auch wenn uns das
Studium der Nomen faszinieren mag, so ist es doch das Studium der
Dinge oder genauer der menschlichen Wahrnehmung derselben, die
jeden beschäftigen muß, der danach strebt, die
Philosophie zu ergründen. Zum Beispiel:
Ich sehe die Flamme
über dem Kohlenrost, doch woher weiß ich, daß sie
wirklich existiert?«
Der kleine Mann, der
sich während meiner Ausführungen mit weiterem Wein
versorgt hatte, lachte laut auf. »Ganz einfach - du
hältst deine Hand in die Flamme!«
Ich schnalzte
mißbilligend mit der Zunge. »Du mußt ein
Anhänger der epikuräischen Schule sein, wenn du glaubst,
daß wir allein durch die Sinneswahrnehmung die Existenz der
›Dinge‹ beweisen können. Epikur hat gelehrt,
daß alle Empfindungen wahr sind; trotzdem dürfte die
Tatsache, daß ich mich verbrenne, für dich kein Beweis
sein, da du gar keinen Schmerz empfinden
würdest.«
»Aber ich
würde dich schreien hören.«
»Vielleicht;
aber es gibt Menschen, die Schmerzen lautlos ertragen können.
Wenn ich nicht schreien würde, wäre das Feuer dann
weniger real? Oder was, wenn ich schreien würde, und du
wärest zufällig taub und würdest gerade in eine
andere Richtung blicken - hätte ich mich dann trotzdem
verbrannt? Andererseits könntest du, wenn ich schreien
würde und du mich hören würdest, nicht wissen, ob
mein Schmerz echt oder nur vorgetäuscht ist.«
»Du scheinst
dich in diesen Dingen ja sehr gut auszukennen«, sagte der
junge Mann lächelnd und nippte erneut an seinem Becher. Ich
bemerkte, daß er ein wenig Wein auf seine Toga gekleckert
hatte.
»Ein wenig.
Philosophie ist natürlich eine Erfindung der Griechen, doch
als Römer kann ich immerhin den Versuch unternehmen, sie zu
begreifen. Mein alter Patron Cicero hat sich zu einer Art
philosophischem Experten entwickelt, um seine Rhetorik zu
verbessern. Von den Skeptikern hat er gelernt, daß es immer
leichter ist, eine Aussage in Zweifel zu ziehen, als sie zu
beweisen — eine nützliche Erkenntnis für einen
Anwalt, vor allem, wenn er keine Skrupel hat, schuldige Männer
zu verteidigen.«
Ich nahm einen Schluck
Wein. Die Atmosphäre im Raum hatte sich vollkommen gewandelt.
Der frostige Argwohn meiner Besucher war einem Gefühl des
Vertrauens gewichen. Die beruhigende Kadenz des philosophischen
Diskurses hatte, wie von mir vermutet, diese Vertrautheit
bewirkt.
»Aber genauso
wenig wie ein Name ein Ding ist, ist Erscheinung gleich
Realität«, fuhr ich fort. »Zum Beispiel: Zwei
Besucher kommen in mein Haus, auf den ersten Blick ein Mann und
eine Frau, was offenbar genau der Eindruck ist, den sie erwecken
wollen. Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich das als
bloßer
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