Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
sicherlich besser, wenn er bereits von Geshar umarmt worden wäre. Behutsam stützte er Eivens Oberkörper ab, bevor er die Fesseln durchtrennte, dankbar, dass der Junge bewusstlos war.
„Bei allen Sternen, was für gottlose Kreaturen!“ Niyam unterdrückte einen Anfall von hilfloser Panik, als er all diese grässlichen Wunden sah und nicht wusste, welche er als erste verbinden sollte. Es wäre wahrhaftig gnädiger, ihn zu erlösen! Doch stattdessen riss er sich den wollenen Überwurf vom Leib und zerfetzte den Stoff, um Bandagen zu erhalten.
Gerade, als er die schlimmsten Blutungen gestillt hatte, begann sich Eiven zu rühren. Stöhnend warf er den Kopf hin und her, sein gefolterter Körper spannte sich gegen Niyams Hände.
„Ruhig, ganz ruhig. Ich bringe dich gleich nach Hause, alles wird gut.“ Seine Stimme schien durchzudringen, Eiven sank in sich zusammen und lag still. Niyam war schon fast sicher, dass der junge Mann erneut das Bewusstsein verloren hatte, da bemerkte er plötzlich, dass er in offene Augen sah. Schmerz, Angst und Fieber beherrschten Eivens Blick, und noch etwas lag darin, etwas, das Niyam nicht sofort begriff.
„Ich weiß nicht genau, wie ich dich tragen soll, ohne dich noch mehr zu verletzen. Eigentlich müsste ich Hilfe holen, aber ich will dich nicht allein lassen“, murmelte er. Eiven schüttelte den Kopf, und diesmal erkannte Niyam den Ausdruck: Verneinung.
„Ich muss dich nach Hause bringen, du stirbst mir hier draußen!“
Wieder Kopfschütteln. Eiven stöhnte und krampfte vor Schmerz, als er versuchte, sich aufzurichten und zu sprechen. Niyam packte den jungen Mann an den Schultern, um ihn auf der Seite am Boden niederzuhalten. „Hör auf, du bringst dich selbst um!“
„Nicht ... nein ... nicht zurück ...“, flüsterte Eiven fast unhörbar.
„Du musst keine Angst haben, Misham und seine Bande werden dafür büßen! Sie werden aus dem Clan ausgeschlossen für das, was sie dir angetan haben, wenn Laremo sie nicht auf der Stelle hinrichten lässt, hörst du?“
Eiven bäumte sich auf und umklammerte Niyams Arme.
„Nicht zulassen ... nicht zurück ...“
„Warum willst du nicht nach Hause?“ Erschüttert betrachtete er den von Schmerz geschüttelten, wild entschlossenen Mann.
„Versteh ... zehn für einen ... niemand je vergessen ...“ Eiven atmete so hastig vor qualvoller Anstrengung, dass seine Lippen blau anliefen. Nur einen Moment später verdrehte er die Augen und sank erneut in sich zusammen.
Nachdenklich blieb Niyam am Boden hocken, hielt dabei die Hände auf Eivens Brust, um sicher zu sein, dass der schwer Verletzte nicht unbemerkt aufhörte zu atmen. Eiven hatte Recht. Niemand würde ihm jemals vergeben, wenn seinetwegen die zehn besten jungen Krieger der Sippe ausgestoßen werden würden. Mehr noch, es würde auf lange Sicht betrachtet den Untergang für ihre Sippe bedeuten. Irgendwann würden die anderen Clans herausfinden, wie geschwächt sie waren und gnadenlos über sie herfallen. Egal, wie ungerecht es war, was man Eiven angetan hatte, es war unmöglich, diese Tat angemessen zu sühnen.
Niyam war so in sich selbst versunken, dass er das leise Rascheln der Blätter zunächst nicht wahrnahm. Das Schwert, das sich gegen seine Halsschlagader drückte, war hingegen nicht zu verfehlen. Alarmiert wollte er hochfahren, doch es war bereits zu spät.
„Hättest du nicht gestern kommen können? Oder morgen? Wenigstens eine Stunde später?“, flüsterte Misham.
Gespannt wartete Niyam, was nun geschah, aber als der junge Krieger sich nicht bewegte, drehte er sich langsam und ließ Eiven behutsam zu Boden gleiten.
„Was willst du nun tun, Misham? Mich umbringen? Soll ich neben dem Jungen hängen und ebenso zu Tode gefoltert werden?“, fragte er leise, obwohl der Zorn in ihm brannte.
„Nein, nein – das kann ich nicht. Ich wollte nicht ...“ Das Schwert fiel zu Boden. Misham sackte kraftlos auf die Knie, barg das Gesicht in den Händen und begann laut schluchzend zu weinen. Eine Weile lang wartete Niyam voller Ungeduld, ob er sich nicht beruhigen würde, doch es wurde eher schlimmer, und die Zeit lief für Eiven ab. Seufzend zog Niyam Misham zu sich, achtete nicht auf die schwache Gegenwehr des jungen Mannes. Die ganze Situation war zu viel für ihn – das Opfer brauchte seine Hilfe, und das schnell, der Täter brauchte ihn allerdings genauso. Er hätte Misham lieber zusammengeschlagen, nur würde das niemandem helfen; also hielt er ihn an den Schultern fest und
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