Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
versuchte seine Wut zu unterdrücken.
Im Wahnsinn geht die Welt zugrunde …
Irgendwann hatte Misham sich wieder unter Kontrolle und befreite sich aus Niyams Griff.
„Ich wollte ihn erlösen“, wisperte er heiser und berührte mit zittrigen Fingern Eivens Flügel. Niyam glaubte beinahe, Mishams Gedanken hören zu können: Diese Flügel waren schwarz, so dunkel, wie Loyflügel zu sein hatten, und vollkommen ebenmäßig geformt. Er musste sich abwenden – selbst in tiefer Ohnmacht strahlte Schmerz von Eiven aus, Niyam ertrug den Anblick nicht.
„Erlösen. Verstehst du? Ich wollte nicht, dass es morgen so weitergehen muss. Ich hätte es nicht zulassen dürfen, nichts davon! Niyam, warum stirbt er nicht? Warum kämpft er so hart?“
„Misham, was ist geschehen? Was hast du getan?“
Mit gesenktem Kopf begann Misham zu erzählen, leise, stockend. Wie er mit seinen Freunden monatelang auf eine Gelegenheit gewartet hatte, bis Eiven ganz allein war, außer Hörweite von jedweder Hilfe. Wie sie ihn gefoltert hatten, mit jedem Tag härter, und sich zu fürchten begannen, je länger es dauerte.
„Wir hatten wirklich geglaubt, es wäre nach ein paar Stunden alles vorbei ... dass er anfangen würde zu heulen und um Gnade zu flehen. Wir hätten ihn dann – ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob wir ihn hätten laufen lassen. Vielleicht, wenn seine Wunden nicht allzu offensichtlich gewesen wären. Wir hatten es nie zu Ende geplant, über die Folgen hatten wir uns gar keine Gedanken gemacht. Eigentlich waren wir immer davon ausgegangen, dass irgendjemand uns erwischt, sobald wir ihn ein bisschen geknufft und getreten hätten und waren bereit, die Strafe dafür hinzunehmen. Nach der ersten Nacht, als wir ihn bis aufs Blut gepeitscht hatten, wussten wir, es gab kein Zurück mehr. Oder vielleicht wussten wir es auch schon vorher. Jedenfalls, es würde mit seinem Tod enden.
Aber er ist nicht gestorben, Niyam. Er hat geschrien, er ist vor unseren Augen verfallen, aber er ist einfach nicht gestorben. Und er hat nicht ein einziges Mal aufgegeben, weiß du? Wir wollten ihn sofort töten, wenn er einmal gebrochen wäre.“ Verzweifelt schluchzte Misham auf, klammerte sich erneut haltsuchend an ihn. Niyam brauchte diesmal all seine Kraft, um den jungen Krieger nicht zu packen und auf ihn einzuschlagen. Ihn durchzuschütteln und anzubrüllen, aus purem Zorn.
Mit geballten Fäusten presste Niyam schließlich hervor: „Misham, das dort vor uns ist ein Loy. Ein lebendiges Wesen. Wie konntest du nur so naiv sein zu glauben, es wäre ein Spiel, ihn mitsamt deinen Kumpanen zu verprügeln?“ Er schüttelte den Kopf, schluckte alles hinunter, was er herausschreien wollte. Bei dem Gedanken, was sie ihm außer Prügel noch angetan hatten, drehte sich ihm der Magen um. Es war sinnlos, den Jungen anzubrüllen. Misham wusste es längst und folterte sich selbst damit.
„Es ist alles so schnell gegangen. Eben war es noch ein Spiel, und plötzlich war es außer Kontrolle! Nalvat ist völlig am Ende, ich musste ihm fast mit Mord drohen, damit er nicht alles Laremo erzählt. Es ist so leicht, sich all diese Dinge vorzustellen, sich daran zu berauschen, wie viel Spaß es machen könnte, und es ist so leicht, all dies zu tun und wirklich Spaß daran zu haben. Aber danach ...“
Misham schluckte, dann wischte er sich mit dem Ärmel über das Gesicht.
„Komm, Niyam, wir bringen ihn nach Hause. Möglicherweise überlebt er es. Ich werde die Schuld auf mich nehmen und sagen, dass ich allein es getan habe. Nur ich, sonst niemand. Wenn die anderen mir widersprechen, werde ich es leugnen.“
Er wollte aufstehen, doch Niyam hielt ihn fest, traurig den Kopf schüttelnd.
„Ein nobler Plan, mein Junge, bloß, so würde es nicht funktionieren. Wenn neun Krieger einhellig gestehen, dass sie dir
geholfen haben, und ich zweifle nicht, dass sie es tun würden, was ist dein Wort wohl noch wert? Laremo kennt dich so gut wie jeder andere, er weiß, dass du deine Freunde schützen willst. Misham, es geht so einfach nicht.“ Er schwieg einen Augenblick, strich dabei über Eivens zerschlagenes Gesicht. Er sah fürchterlich aus, wie tot. Es war beruhigend, die fieberheiße Haut zu berühren. „Weißt du, dass er mich aufgehalten hat? Ich wollte ihn zurücktragen, bevor du gekommen bist. Er hat mich angefleht, es nicht zu tun. Er wollte nicht überleben, wenn es den Tod von zehn anderen bedeutet.“
Misham schluckte. „Und was sollen wir jetzt tun?“
Eine Weile lang
Weitere Kostenlose Bücher