Roen Orm 4: Herrscher der Elemente (German Edition)
Göttin. Inani spürte, wie sie berührt, gestreichelt wurde, und erkannte schließlich die leise Stimme in ihrem Inneren.
„Corin?“ Ja, das war ihre Schwester, deren Taube war bei ihr, und auch die Leopardin war gekommen. Gewiss, die Priester waren tot, damit standen die Nebelpfade wieder offen.
„Bleib stark, Inani. Schwöre mir, dass du nicht aufgibst, egal, was geschieht.“
Tiefe Liebe erfasste Inani, und noch tiefere Trauer. Sie wusste, es war der Abschied. Corin würde sie verlassen.
„Lass mich mit dir gehen“, bettelte sie und weinte um diese Seelenfreundin.
„Bleib. Ich brauche dich hier, in Enra. Nur du kannst mir noch den Todeskuss geben, nur du kannst das Ritual so erfüllen, wie ich es mir wünsche!“
Staunend begriff Inani, was Corin von ihr forderte, sie sah die Gedanken ihrer Schwester vor ihren inneren Augen. Nicht das gewohnte Todesritual, bei dem ein Haar der Hexe für jedes ihrer Lebensjahre Verderben über die Menschen brachte, sondern etwas, was noch nie da gewesen war.
„Pya gewährt es mir. Die Ordnung steht längst Kopf, es gibt zu viel Tod und zu wenig Hoffnung. Ich wünschte, ich wäre uralt, wie Yosi, dann könntest du so viel bewegen. Schwöre, dass du es tun wirst.“
Inani nahm erst jetzt ihren eigenen Körper und ihre Umgebung wahr. Sie lag am Boden, ganz dicht bei ihrer Hexenschwester. Jemand kniete neben ihr, ein anderer war bei Corin.
„Ich schwöre es.“ Inani schluchzte, sie verdammte sich selbst damit. Verurteilte sich zum Kampf. Zum Leben.
„Bring mich zu ihr“, bat sie den Fremden in ihrem Rücken. Starke dunkle Hände halfen ihr, Corin in die Arme zu schließen. Die Hände eines Loy. War Niyam gekommen?
„Vergangen ist die Nacht, verronnen ist die Kraft, verdorrt die Seele, verfallen der Leib. Gib den Todeskuss und setze mich frei, Schwester der Dunkelheit. Binde meine Augen, nimm mein Haar. Vollbringe mein Lebenswerk, und ich werde sitzen zu Füßen der Göttin, erwarte dich dort, bis auch du zu uns kommst“, wisperte sie auf Is’larr, gemeinsam mit Corin, hielt sie umfangen, wiegte sie, nahm Corins gesamtes Leben in sich auf.
Wie soll ich ohne dich weitermachen, Corin? Wie soll ich den Weg nach Hause finden, wenn ich mich verirre? Ich brauche dich doch!, dachte sie in das sterbende, dahinschwindende Bewusstsein hinein.
Wir werden uns wiedersehen. Pya hat es mir versprochen, ich lasse dich nicht allein. Such Janiel, bevor es zu spät für ihn ist … Und erfülle mein Werk.
Das Seelenband zerriss. Corin war fort. Inani begann zu schreien, einsam und verloren, sie schrie den Wahnsinn dieser Welt aus sich heraus, konnte ihn nicht ertragen. Sie wollte ihn nicht ertragen.
Einige hundert Schritt entfernt kniete Maondny am Boden, verborgen hinter einem Baum. Sie klammerte sich stöhnend an einen Ast, schlug mit dem Kopf rhythmisch gegen den Stamm. Die Schreie ihrer Freundin waren mehr, als sie verkraften konnte. Ihre Schuld. Es war ihre Schuld, immer wieder, jeden Tag aufs Neue. Alles was geschah hatte sie verursacht, sie ganz allein, weil sie einen jungen Mann nicht hatte sterben lassen wollen. Weil sie in das Schicksal eingegriffen hatte.
„Es hätte Schlimmeres heute geschehen können. Inanis Opferbereitschaft hat viele Leben gerettet“, wisperte eine Stimme hinter ihr. Maondny drehte sich nicht um, sie wollte diesen Boten der Götter nicht ansehen.
„Ja, sie hätten alle sterben können, die Priesterschaft wäre vernichtet und die falsche Hexe zur Königin von Roen Orm gekrönt worden. Das macht es nicht weniger entsetzlich, verstehst du das nicht?“
„Nein. Du weißt, Mitleid ist mir fremd.“ Die Stimme kicherte unbekümmert. „Ist es nicht gut, dass die wirklich
wichtigen Kämpfer in deinem Spiel überlebt haben? Gewiss, die Hexenkönigin ist ein herber Verlust, aber die kleine Taube gar keiner.“
„Schweig!“, zischte Maondny zornig. „Ein Leben wird nicht danach gewichtet, ob es nützlich für die Götter ist oder nicht! Ich habe Corin geliebt, ihr Verlust zerschneidet mir das Herz!“
„Dann ist alles so, wie es sein soll. Solange du weißt, was du opferst, solange du bedauerst, was du anrichtest, darfst du dein großes Spiel treiben, wohin du nur willst, wir werden dich nicht hindern. Geht es voran mit dem Splitter? Kommt Thamar zurecht? Und du erinnerst dich an unser Abkommen?“
„Alles Bestens“, grollte Maondny, während goldene Funken vor ihren Augen tanzten.
Sie hörte, wie der Bote sie verließ, wandte noch
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