Roen Orm 4: Herrscher der Elemente (German Edition)
um sie herum lagen verkohlte Leichen von Sonnenpriestern. So viele Leben waren vernichtet worden, von ihrer Hand. Es war unfassbar, der bloße Gedanke betäubte ihren Verstand.
Sie sah Avanya, die stumm weinend Corins Hand hielt, und einen fremden Loy. Die Leopardin drängte sich an ihre Seite – und Corins Taube. Noch lebte der winzige Vogel, aber Inani spürte, sie musste sich nun beeilen. Rasch beugte sie sich über Corins toten Körper, zog ihr Messer und schnitt eine Strähne der rußverschmierten blonden Haare ab.
Sie kümmerte sich nicht um die verwirrten Blicke der Nalla und des Loys, als sie aufstand und mit einem geflüsterten Segensspruch Corins Haare in die Luft warf. Sie segelten wie goldene Fäden dahin, doch kein einziger berührte den Boden. Nebel wallte auf, von ihrer Macht und dem heiligen Ritual gerufen, gurrend flatterte ein Schwarm Tauben herbei. Jede fing eines der Haare auf und verschwand wieder im Nebel. Inanis Magie begleitete die Vögel, sie führten das
Ritual aus, wie Corin es sich gewünscht hatte: Nicht den Tod brachte ihr Haar, sondern Leben und Hoffnung.
Sie sah eine Mutter, die ihr sterbendes Kind hielt und erschrocken versuchte, vor der Taube zu fliehen, die so plötzlich aus Nebelschwaden aufgetaucht war; der kleine Junge würde leben. Sie sah einen alten Mann, der versuchte, seiner verwirrten, kranken Gefährtin Suppe zu füttern; die Frau erwachte aus ihrer angsterfüllten eigenen Welt.
Ja, so ist es richtig, dachte Inani. Sie lachte unter Tränen der Trauer wie auch Ergriffenheit. Corin war nie wirklich ein Teil der Dunkelheit, sie liebte das Leben mehr als das Gleichgewicht. Fliegt, ihr Tauben, bringt Corins Botschaft von Hoffnung. Erfüllt ihren Wunsch nach Glück und Heilung! Gräme dich nicht, Schwester: Du bist jung gestorben, viel zu jung … Aber auch kaum zwei Dutzend gerettete Leben sind ein kostbares Geschenk!
Staunend sah sie, dass eine der Tauben ihren Weg zu den Elfen nahm. Sie landete in Noreos Schoß, ein Elfenmann, dessen Seele schon vor langen Jahren aufgehört hatte zu leben, sodass er nur als leere Hülle vor sich hinvegetierte. Maondnys Bruder Anovon tauchte in der Vision auf, er starrte verwirrt auf den Vogel, auf den Nebel, den er augenscheinlich erkannte.
„Corin?“, rief er zögernd. Gewiss, Corin hatte einige Zeit bei Maondnys Sippe verbracht. Anovon fuhr herum, als er einen Laut hörte, und kniete neben Noreo nieder. Der Elf, der so lange still gewesen war, bewegte sich, sah auf seine Hände nieder; Tränen rannen über sein ausgezehrtes Gesicht.
Eine neue Vision entstand, Inani erblickte eine weibliche Loy. Sie lag schluchzend in Niyams Armen, umklammerte dabei das Haar, das ihr geschenkt worden war, dessen Macht tief verborgenen Schmerz gelindert hatte.
Als alle Tauben ihren Weg gefunden hatten, kehrte Inani zu sich selbst zurück. Verwundert sah sie, dass Corins Seelenvertraute noch lebendig vor ihr saß. Sie schien auf Inani gewartet zu haben.
„Die letzten drei sind für dich“, gurrte die Taube in ihrem Bewusstsein. Eine gib dem Loy, der Tauben-Schwester trug. Eine schließe ein und gib sie dem, der zu viele Seelen in sich birgt. Eine gib dem König, der sein Volk verlor.“
Inani sah, dass die Taube drei Haare in ihrem Schnabel trug, aber wohl zu schwach war, sie selbst dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wurden. Sie nahm den sterbenden Vogel auf, küsste seinen Kopf und ergriff die kostbaren Gaben. Damit war das Ritual vorläufig beendet, die Tauben hatten ihre Aufgabe erfüllt. Inani legte den nun toten Vogel in Corins Arme. Ergriffen sah sie zu, wie beide Körper zerfielen, bis nur noch Erde übrig war. So war der Weg der Pya: Ihre Macht nährte die Dunklen Töchter, deren sterblichen Hüllen zu fruchtbarer Erde wurden, sobald das Todesritual ausgeführt war. Auch wenn es diesmal Leben statt Tod gespendet hatte, zumindest dieser Teil blieb, wie Inani es kannte.
Erschrockene Rufe erinnerten sie daran, dass sie nicht allein hier draußen in den Großen Ebenen war. Sie erhob sich und trat auf die Nalla zu. Avanya, die sie für tot gehalten hatte. Thamar würde sich freuen, von ihr zu hören.
Der Loy neben ihr war sehr jung und hatte etwas seltsam Menschliches an sich. Inani spürte, dass er innerlich tief verwundet war, Corins Gabe wurde dringend benötigt.
„Bitte stelle mir doch deinen Begleiter vor“, sagte sie leise.
Avanya fuhr zusammen, lächelte dann verlegen und erwiderte: „Das ist Eiven, Sohn der Roya, aus der
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