Röslein stach - Die Arena-Thriller
in Urlaub gefahren? Nein, dafür war er doch viel zu geizig! Plötzlich hatte Antonia eine andere Idee. Natürlich! Das war des Rätsels Lösung! Das Geld stammte sicher von Tante Linda. Sie hatte ihr doch ein Geschenk angekündigt. Sie hätte ja ruhig eine Bemerkung dazuschreiben können, dachte Antonia, aber dann fiel ihr wieder ein, wie schusselig ihre Tante manchmal sein konnte. Das Schrillen der Haustürklingel riss Antonia aus ihren Überlegungen. Sie ging nachsehen. Ehe Selin da oben wieder durchdreht, dachte sie dabei finster. Es war der Gärtner. Lächelnd präsentierte Herr Petri Antonia ihr »neues« Fahrrad. Es war das alte aus dem Schuppen, das laut Robert niemandem von ihnen gehörte. Es war kaum wiederzuerkennen. Die Felgen blitzten, nirgends war Rost zu sehen und die ehemals bräunliche Farbe war einem intensiven Rot gewichen.
»Geil!«, entfuhr es Antonia. »Und so schön rot!«
»Die Farbe nennt man Karmesinrot«, klärte sie der Gärtner auf. »Ich habe vorsichtshalber die Bremsen erneuert und das Licht geht auch wieder.«
»Super, vielen Dank!«, freute sich Antonia. Endlich war sie wieder mobil. »Und was bekommen Sie dafür?« Bloß gut, dass sie gerade wieder einigermaßen flüssig war!
»Bei Gelegenheit mal wieder einen Kaffee.«
»Aber das geht doch nicht!«, protestierte Antonia. »Das war doch sicher eine Menge Arbeit. Und die Ersatzteile…« Da musste ganz schön was zusammengekommen sein, schätzte sie. Erst vor drei Tagen hatte Katie gejammert, dass sie für das Ersetzen eines Reifens, der ihr am Sonntagabend vor der Kneipe »von irgendeinem Riesenarschloch« zerschnitten worden war, dreißig Euro bezahlt hatte.
»Ist schon okay. Ich hab’s gern gemacht. Du musst dir nur noch ein Schloss besorgen.« Antonia bedankte sich noch einmal, aber Herr Petri war schon auf dem Weg zu seiner Arbeit.
Das Hochbeet war inzwischen fast fertig. Es bestand aus einer Umrandung aus Holzbrettern, die nun mit Erde und Kompost aufgefüllt werden musste. Danach konnte man die Pflanzen einsetzen, die er am Fenster des Schuppens herangezogen hatte. So hatte er es jedenfalls neulich Robert erklärt, der schon ungeduldig der »eigenen Ernte« entgegensah. Hätte meine Mutter nicht so einen Mann heiraten können, dachte Antonia, als sie Herrn Petri nachschaute.
Bis zur Beerdingung um zwei Uhr war noch Zeit, die Antonia eigentlich mit Lernen verbringen wollte. Aber das rote Fahrrad stand so verführerisch vor der Tür… Und außerdem musste sie ja noch ein Schloss dafür besorgen. Sie ging ins Haus, schnappte sich Jacke und Portemonnaie und schwang sich in den Sattel. Die eingestellte Höhe passte exakt zu ihren Körpermaßen. Gut gelaunt machte sie sich daran, endlich ihre nähere Umgebung zu erkunden. Der Gärtner sah sie losfahren, ließ für einen Moment seinen Spaten ruhen und schaute ihr gedankenverloren nach.
Es war eine kleine Beerdigung. Ein paar Nachbarn waren gekommen und zwei hutzelige Frauen, die annähernd so alt waren, wie Frau Riefenstahl gewesen war. Hinterbliebene im Sinne von Verwandtschaft gab es nicht, Frau Riefenstahl hatte offenbar alle überlebt. Zuerst fand in der Friedhofskapelle eine Andacht statt, dann bewegte sich der kleine Trauerzug, angeführt vom Pfarrer, zur Grabstätte. Das Blätterdach der alten Bäume filterte die Sonnenstrahlen zu einem milchigen Licht, Vögel zwitscherten, ab und zu frischte ein milder Wind auf. Ein schöner Tag und ein schöner Platz für die letzte Ruhe, dachte Antonia und schließlich sagte sie es auch zu Robert, der bisher schweigend neben ihr hergegangen war.
»Ja, ich mag diesen Friedhof auch sehr«, bekannte Robert. »Es ist selten, dass man christliche und jüdische Gräber auf ein und demselben Friedhof hat.«
»Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Aber der Friedhof muss wohl schon ganz schön alt sein, diesen Gruften nach zu urteilen«, erwiderte Antonia, die sich gar nicht sattsehen konnte an den Skulpturen und überwucherten Grabsteinen.
»Ja, er steht unter Denkmalschutz, nur Leute, die schon lange vorher ihr Plätzchen reserviert haben, dürfen hier noch beerdigt werden. Aber wusstest du eigentlich, dass der gesamte Lindener Berg von Höhlen und unterirdischen Gängen durchzogen ist?«
»Nein«, sagte Antonia, die das nicht so ganz glauben mochte. Mittlerweile kannte sie ja Robert und seine Geschichten.
»Bis ins achtzehnte Jahrhundert diente der Lindener Berg als Steinbruch. Die Steine für die Stadtmauer Hannovers stammen zum
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