Roeslein tot
glauben Sie, dass mein Mann im Winter mal spontan nach Garmisch oder an den Spitzingsee aufbrechen würde? Der lungert von morgens bis abends im Geschäft herum, selbst am Wochenende, und gibt vor, er hätte zu viel Arbeit. Dabei ist er doch ein exzellenter Skifahrer! Das war eines der Dinge, die mich anfangs an ihm beeindruckt haben. Nichts, absolut nichts ist in meinem Leben los. Ich bin lebendig begraben in diesem gottverlassenen Nest!«
»Doch dann hat Herr Schultes Sie aus Ihrem Grab gerettet«, unterbricht der Wellmann mit einem ironischen Unterton.
Die Eisingerin seufzt verliebt. »So war es. Sie kennen ihn ja: ein Bild von einem Mann. Da kann man richtig ins Schwärmen geraten. Und obwohl er nur ein einfacher Gärtner ist, hat er viel gepflegtere Umgangsformen als alle hiesigen Dorfhonoratioren zusammengenommen. Mit Ausnahme des Pfarrers vielleicht. Aber der nützt mir nichts. Ich bin nicht religiös, müssen Sie wissen. Ich kann doch nicht aus Nützlichkeitsüberlegungen an Ammenmärchen glauben. Dass der Jens seinen Schwiegervater ermorden würde, konnte ich nicht ahnen. Ich billige das auch nicht, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber er ist hier genauso auf verlorenem Posten und hat alle gegen sich wie ich. Uns hat die Verzweiflung zusammengeschweißt. Dass er so verzweifelt ist, hätte ich allerdings nie gedacht.«
»Sie glauben also, dass Herr Schultes der Mörder von Herrn Schladerer ist?«
Die Eisingerin zuckt hilflos mit den Schultern. »Sie ahnen nicht, wie es mich schmerzt, den Menschen, den ich nach meiner Mutter am meisten liebe, zu verdächtigen. Aber er hat sich mir gegenüber am Ende auch nicht sehr ritterlich benommen. Jedenfalls hatte er ein Motiv für den Mord. Oder besser gesagt: eine ganze Reihe von Motiven. Der Alte war ein notorisches Ekel, das werden Ihnen schon andere gesagt haben. Er hat Jens gedemütigt, behindert und provoziert, wo er nur konnte.«
»Frau Eisinger, ich habe Verständnis für Ihre Lage. Könnten Sie bitte trotzdem endlich meine Frage beantworten? Was haben Sie und Herr Schultes am Donnerstagabend gemacht?«
Die Eisingerin schnieft noch heftiger. Ihre Wimperntusche löst sich allmählich auf und hinterlässt schwarze Streifen in ihren Nasenfalten.
»Das ist es ja. Das war einer der schwärzesten Momente meines Lebens!« Sie macht eine dramatische Pause.
Ich überlege: So schwarz wie die Wimperntusche?
Da fährt sie fort: »Wir hatten so wunderbare Tage zusammen. Den ganzen Dienstag haben wir einfach nur unsere ungestörte Zweisamkeit genossen. Am Mittwochabend waren wir in Bad Wiessee im Casino, aber Jens wollte nicht spielen, nicht einmal mit minimalem Einsatz. Die Winner’s Lounge war leider geschlossen. Wenigstens nahmen wir in einem sehr schick eingerichteten Lokal am Tegernseeufer einen Cocktail. Am Donnerstagmorgen haben wir eine kleine Autowanderung gemacht. Ich brauchte mich nur in den Beifahrersitz zu lehnen und die Landschaft zu genießen. Mit geschlossenem Fenster, ohne Güllegestank, versteht sich. Jens ist bei allen unseren Ausflügen gefahren, sportlich, und doch habe ich mich bei ihm sicher gefühlt wie in Abrahams Schoß. Er geht mit einem Auto so überlegen und doch so einfühlsam um wie mit … na ja. Ich habe ihm die ganze Zeit den Autoschlüssel überlassen. Nach dem Mittagsbuffet flanierten wir durch das Bäderviertel. Später saßen wir in der Marktstraße von Bad Tölz, löffelten einen Eisbecher und sahen den Passanten zu. Der eine oder andere Prominente war auch dabei, Leute, die man aus dem Fernsehen kennt. Das ist eben ein ganz anderes Pflaster als Reindlfing!« Sie zieht verächtlich die Nase kraus.
Wieder macht sie eine dramatische Pause.
»Und weiter?«
Der Wellmann wird allmählich ungeduldig. Der Stuhlinger wirft ihm einen kritischen Blick zu. Die Zeugen ausreden lassen! Hat er ihm das nicht oft genug eingebläut? Der Wellmann stiert zurück: Gerade hat der Stuhlinger die Zeugin doch selbst bedrängt. Der braucht sich gar nicht so aufzuspielen.
»Weiter … ja, also, es war eine wunderbare Atmosphäre, die Sonne, das leckere Eis, die auserlesene Gesellschaft … wahrscheinlich hat Jens daran gedacht, dass er aus diesem Paradies bald wieder in seine muffige Gärtnerei zurückkehren muss. Anders kann ich es mir nicht erklären. Jedenfalls fing er an, mir mitten im schönsten Lebensgenuss Vorhaltungen zu machen. Ich hatte nur ganz harmlos bemerkt, dass er sich ruhig mal einen neuen Anzug leisten könnte, damit wir
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