Rolandsrache
was das Herz begehrte: Wachteln in pikanter Soße, Wildschweinbraten, knusprige Enten, Ziegenkäse, süße Teigkuchen mit Kirsch- oder Pflaumenkompott, warmes Brot, zweierlei Bier, den besseren Wein und vieles mehr. Anna bemühte sich, eine heitere Miene zu machen, und fand beim Anblick der reichlichen Leckereien tatsächlich ihren Appetit wieder.
Nach dem Genuss der vielen Speisen, vor allem nach dem letzten Teigkuchen, glaubte sie, platzen zu müssen. Der Wein umnebelte langsam ihre Sinne, und sie fühlte sich wie in Watte gehüllt. Sie tanzte ein paarmal, wenn sie aufgefordert wurde, und beobachtete, wie alle Gäste um sie herum zufrieden aßen und ausgelassen feierten. Selbst die eine oder andere Nonne bekam zu ihrem Leid von einem der betrunkenen Männer einen Schlag auf ihr Hinterteil.
Mit Claas hatte sie nur einmal getanzt, nachdem er seinen Meistertitel von Friedrichs zugesprochen bekommen hatte. Dieser war, wie alle Mitglieder der Steinmetzzunft, eingeladen, doch nach der Verleihung des Titels und des Steinmetzzeichens war er schnell wieder verschwunden. War es das schlechte Gewissen? Allgemein schob man es der Krankheit seiner Frau zu, dass er an dem Fest nicht teilnahm. Für Anna war es ein weiterer Grund, mehr über Friedrichs und seine Absichten herauszubekommen. Der Verdacht, er könne etwas mit dem Tod ihres Vaters zu tun haben, drängte sich ihr erneut auf.
Annas Ärger gegen Claas entfachte sich von Neuem, als sie bemerkte, dass er bereits zum vierten Mal mit seiner rotblonden Base Gertrud tanzte und diese ihm unverhohlen schöne Augen machte. Jetzt hatte er alles, was er wollte. Als Mitglied einer angesehenen Handwerkerfamilie und mit dem Meistertitel stand ihm bald eine Stimme in der Zunft zu. Nun war er unabhängig. Wozu sollte er sich dann noch um sein angetrautes Weib kümmern?
Rings um Anna feierten die Menschen, und niemand bemerkte, was in ihr vorging. Die zwei Tage ohne Schlaf und der viele Wein zeigten ihre Wirkung. Am Ende des Tanzes mit dem Baumeister Salomon war Anna außer Atem. Nach Luft schnappend sank sie auf einen freien Stuhl. »Ihr seid ein schwungvoller Tänzer«, lachte sie und war froh zu sitzen.
»Das behauptet mein Weib auch immer.« Zwinkernd ließ er sie allein.
Ihr war warm, und sie fächerte sich mit der Hand Luft zu.
»Das ist die Aufregung«, hörte Anna einen der Steinmetze zu Claas sagen, und aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass die beiden zu ihr herübersahen.
»Du musst keine Angst haben.« Dorothea, Claas’ jüngste Schwester, ebenfalls frisch vermählt, setzte sich zu Anna und warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu. »Ich habe vor der Ehe auch viel Schlimmes über die Hochzeitsnacht und unsere ehelichen Pflichten gehört. Aber wenn alle Männer so zärtlich sind wie mein Carsten, dann kannst du dich darauf freuen.«
Sie war sechzehn, und ihr gewölbter Leib zeichnete sich unter dem blauen Kleid ab, das wunderbar zu ihren grünen Augen passte. Dorothea füllte einen Becher mit Wein und drückte ihn Anna in die Hand.
»Trink das. Es beruhigt.«
»Danke.« Einen Moment starrte Anna den Becher an. Eigentlich hatte sie bereits genug davon, aber vielleicht würde es ihre Sorgen für heute fortwischen, wenn sie sich betrank. Ihr Vater war auch immer fröhlich gewesen, wenn er viel getrunken hatte, also konnte es so verkehrt nicht sein. Mit einem Schluck leerte sie den Inhalt, und der süße Wein lief kühl durch ihre Kehle.
»Gleich wird es dir besser gehen.« Verschwörerisch zwinkerte Dorothea. »Ich habe schon lange geahnt, dass ihr zwei einmal heiraten werdet. Gleich als Claas das erste Mal nach seiner Wanderschaft wieder bei uns zu Besuch war, ist es mir klar gewesen. Er redete nur von dir und deinem Vater.« Sofort presste sie sich die Hand vor den Mund und stockte peinlich berührt. »Verzeih mir. Das mit deinem Vater tut mir so furchtbar leid.«
Anna schluckte heftig. »Hm.« Statt einer Antwort griff sie nach dem Krug, schenkte sich und ebenfalls einen Becher für Dorothea ein. Sie wollte nicht allein trinken.
»Mir bitte nicht mehr.« Ihre Schwägerin streichelte demonstrativ über ihren Bauch. »In Maßen ist es willkommen, aber die Amme meint, zu viel würde dem Kind schaden.«
Anna leerte ihren Becher erneut in einem Zug. Dorothea stutzte.
»Du hast aber einen gesunden Durst. Besser, du trinkst nicht so hastig.« Sie legte ihre Hand auf Annas Schulter. »Die Welt geht heute nicht unter, sie wird nur aufregender, und betrunken hast du
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