Rolandsrache
Dann ließ er von ihr ab, lächelte sie triumphierend an und küsste sie erneut, ehe sie ihm sagen konnte, dass er sich zum Teufel scheren solle. Seine Hand wanderte langsam über ihren Rücken, bescherte ihr einen wohligen Schauer, wofür sie ihn hassen wollte. In ihrem Kopf kämpften Verlangen und Wut miteinander. Schließlich gewann die Wut. Sie spannte die Muskeln an, schubste ihn von sich weg und fuhr sich verachtend mit der Hand über den Mund. Wie sehr ihr Handeln sie selbst schmerzte, zeigte sie ihm nicht.
Claas wich lächelnd vor ihr zurück, ging an das Ehebett, als wäre nichts geschehen, und griff nach seinem Nachtgewand. »Vielleicht sollten wir zu Bett gehen, morgen müssen wir mit der Statue weitermachen.«
Anna hielt die Luft an, doch zu ihrer Überraschung ging er mit der Decke zur Tür und öffnete sie. Beim Hinausgehen drehte er sich noch einmal kurz zu ihr um. »Und ja, du hattest tatsächlich keine andere Wahl.«
***
Die beiden Mütter hatten ihnen ein üppiges Frühstück mit frischen Eiern, heißer Milch, gebackenem Brot mit Käse und Schinken mitgegeben, das hungrig vertilgt worden war. Nun standen Anna, Claas und seine Brüder in der Werkstatt und überlegten, womit sie beginnen sollten.
Stephan, ein schlaksiger und wortkarger junger Mann mit blondem Bartflaum und Schopf, war mit seinen sechzehn Jahren der jüngste der drei. Er nickte zu jedem Vorschlag und machte ansonsten einen eher verträumten Eindruck. Ganz anders war der neunzehnjährige Franziskus, ein breiter Bursche mit wilden braunen Haaren, fröhlichen blauen Augen und einem lockeren Mundwerk, das zu seinem verschmitzten Lächeln passte. Er war wie Claas ebenfalls in den Beruf des Steinmetzes gegangen, aber noch lange nicht so weit ausgebildet. Er würde in vier Jahren auf Wanderschaft gehen.
Claas schlug vor, den Rumpf des Roland an der Bruchstelle mit dem Kopf zu verbinden, was auch den Schaden am Hals der Statue beheben würde, und die zweite Schadstelle mit einem neu gehauenen Stück zu versetzen, das genau in die Lücke passte. Sie befanden einvernehmlich, dass es einen Versuch wert wäre, ehe sie alle Teile neu fertigen mussten.
Anna fuhr mit den Fingern über einen gezackten Riss im Rumpf und stellte fest, dass er nicht sehr tief war. Sie würde ihn ausbessern können. Einzig die Farbe des Muschelkalkmörtels machte ihr Sorgen. Claas stand ganz dicht neben ihr, fuhr ebenfalls prüfend mit der Hand über den Riss und wog den Kopf leicht hin und her. »Es wird gehen«, sagte er schließlich.
»Das denke ich auch. Nur ist der Mörtel dunkler als der Elmstein. Kannst du da was machen?« Vergessen war die letzte Nacht; es wirkte, als wäre nie etwas geschehen.
Claas nickte. »Es gibt ein paar Möglichkeiten. Wir mischen etwas mehr Kalk darunter, dann wird er heller, oder wir nehmen Sumpfkalk und reiben die Statue komplett ab. Wir können sie auch mit einer Mischung aus Milch, Quark und Kalk einstreichen. Egal was wir machen, man wird es später nicht sehen, da kannst du gewiss sein.«
Anna war überrascht. »Ich habe noch nie gehört, dass Vater Figuren mit Quark und Milch bestrichen hat. Woher hast du das?«
»Als ich auf Wanderschaft war, traf ich in Köln auf einen Baumeister, der genau das getan hat. Es sah phantastisch aus, auch wenn das Auftragen selbst von unsagbarem Gestank begleitet war. Aber nach ein paar Tagen war der Geruch verflogen, und die Figur sah sehr edel aus«, berichtete Claas mit leuchtenden Augen.
»Das gefällt mir.«
»Das können wir machen, wenn die Figur bereits auf dem Markt errichtet wurde.«
»Dann brauchen wir uns darum erst einmal nicht zu sorgen.«
Erleichtert gingen sie daran, ihr Arbeitspensum für die nächste Woche zu planen. Anschließend begann Claas, die Muscheln zu zerkleinern und den Mörtel anzurühren, während seine Brüder drei Feuerstellen errichteten; eine draußen vor der großen Doppeltür für den Wachdienst und zwei drinnen. Als die Scheite brannten, wurde es hell und sogar behaglich in der Werkstatt. Dick eingepackt in warme Sachen blieb Franziskus gleich draußen, um die erste Wache zu übernehmen. Sie hofften, dass es abschreckend genug war, wenn nun ein Mann vor der Tür stand.
Claas, Anna und Stephan schoben gemeinsam das beschädigte Haupt und den schweren Rumpf ganz nahe zusammen. Anschließend richteten sie die liegenden Teile so zueinander aus, dass gerade noch genug Raum für den Mörtel war. Jetzt begann Anna unter Claas’ Anleitung, die Bruchstellen
Weitere Kostenlose Bücher