Rolandsrache
fuhr fort, als wäre nichts gewesen. »Der Steinmetz Claas Zellheyer ehelicht Anna Olde. Der Schmied Dietmar Bürder ehelicht Angelika aus der Hohenstraße, und der Knecht Lothar Meyer ehelicht Sarah Reinhold.«
Die Versammlung löste sich wie gewohnt auf, als die Domglocke zur Hora Tertia schlug und damit die Mittagszeit einläutete.
6
»Claas Zellheyer, willst du dieses Weib zu deinem Eheweib nehmen, in guten wie in schlechten Zeiten für sie sorgen und sie stets leiten, bis dass der Tod euch scheidet?«
Claas nickte. »Ja, das will ich!« Seine Stimme klang fest und sicher.
»Anna Olde, willst du diesen Mann zu deinem Ehemann nehmen, ihn in guten wie in schlechten Zeiten lieben und ehren, ihm dienen, bis dass der Tod euch scheidet?«
Als der Priester Anna diese Frage stellte, vernahm sie zwar die Worte, doch ihre Zunge reagierte nicht. Tränen, durch den Schleier verborgen, raubten ihr die Sicht. Im Hintergrund hörte sie ihre Mutter tief einatmen, dann lag Stille über der Menge. Alle warteten auf ihre Antwort.
Es war so rasend schnell gegangen, dass Anna kaum sagen konnte, was sie in der letzten Woche alles getan hatte. Nun fand sie sich mit Claas an ihrer Seite vor der Brauttür des St.-Petri-Doms wieder und spürte, dass unzählige Augen auf sie gerichtet waren. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
»Anna?«, flüsterte der Priester, und Claas verstärkte sanft den Druck seiner Hand. Schmerzhaft schluckte sie. »Heilige Anna, auch wenn ich nicht immer ein folgsames Mädchen gewesen bin, so bitte ich dich dennoch darum, mir die Kraft zu geben, das Richtige zu tun. Amen!«
»Anna?«, wiederholte der Priester etwas lauter, und sie erwachte aus ihrer Starre.
»Ja«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Das will ich.«
Ein leises Raunen ging durch die Menge in ihrem Rücken. Der Druck von Claas’ Hand lockerte sich, ihre Mutter atmete wieder, der Priester nickte zufrieden und sprach den Segen: »Et ego coniungo vos in matrimonium in nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti.«
Sie brachen eine Münze und tauschten die Ringe. Dann unterzeichneten sie den Vertrag. Als Claas anschließend ihren Schleier anhob, trat ein überraschter Ausdruck auf sein Gesicht. Anna weinte. Er gab ihr einen sanften Kuss, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Anna zwang sich zu einem Lächeln, denn sie wollte ihm nicht den Tag verderben. Sie hatte ihn noch immer zu gern, auch wenn dieses Gefühl sie momentan eher schmerzte, als dass sie es willkommen hieß. Feierlich nahm er ihr den Schleier ab, und ihre Mutter reichte ihm die Haube. Er setzte sie Anna auf den Kopf, und augenblicklich war das jubelnde Brautgefolge um sie herum.
Als Magda sie in die Arme nahm, wirkte sie erleichtert, denn Annas Zögern war ihr nicht verborgen geblieben. »Sei tapfer, denn du weißt, dass es das Beste war. Claas wird dir gewiss ein guter Mann sein«, flüsterte sie und wischte Anna von allen unbemerkt die Tränen ab. »Wir können dem Allmächtigen danken, dass dein Onkel nicht rechtzeitig gekommen ist.«
Ein letzter verschwörerischer Augenaufschlag, dann wandte sie sich Claas zu, um ihm ihre Glückwünsche auszusprechen und ihn endgültig als Familienoberhaupt zu begrüßen. Anna wurde von der Menge zur Brautmesse in die Kirche geschoben, die sie ohne jedes Gefühl für Zeit und Wort überstand.
Auf der anschließenden Feier, die in Anbetracht des Trauerfalls und der bevorstehenden Arbeit kürzer als üblich ausfiel, erhielten die Gäste ihre Geschenke. Am Morgen noch hatte Magda ganz geheimnisvoll von einer großen Überraschung gesprochen. Dass sie im gerade gebauten Ratskeller, und zwar in der Halle der Zünfte, feierten, war ebendiese, und sie verdankten es dem Rat, allen voran Johann Hemeling. Die Halle diente sonst ausschließlich den Rats- und den Zunftversammlungen, doch Hemeling hatte dafür gesorgt, dass die Hochzeitsfeier hier stattfinden konnte.
Der Ratskeller war ein neu errichtetes Gewölbe mit riesigen Weinfässern, die den prunkvollen Raum säumten, einem übergroßen Kamin und vielen schweren Tischen. Hinter der freien Fläche für den Tanz spielten die Musikanten unermüdlich auf Laute, Flöte und Fiedel. Fleißige Mönche, Nonnen und Novizen bewirteten sie und erfüllten umgehend jeden Wunsch. Anna hatte das Gefühl, zu einer der reichen Familien zu gehören, denn sie wurden behandelt, wie es nur den höher gestellten Personen gebührte.
Um sie herum wurde gesungen, getanzt, getrunken und gegessen. Es gab alles,
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