Rolandsrache
Kirche bestimmte, aber dass es so weit gegangen war, davon hatte sie nie etwas geahnt. Wenn er Feinde aus dieser Richtung hatte, dann waren es mächtige Feinde, und es würde schwer werden, die Mörder zu stellen. Waren sie jetzt auch ihre Feinde? Wie viel wusste Claas von all dem?
»Danke, dass Ihr so offen mit mir seid.«
»Trag es nicht in die Welt hinaus, dann war ich es zu Recht.«
»Werde ich nicht, seid unbesorgt.«
Er nickte. »Du bist deines Vaters Tochter.« Er erhob erneut den Becher und prostete ihr zu.
Anna erwiderte die Geste und nahm einen langen Schluck, während sie überlegte, ob sie ihn auch wegen Friedrichs befragen konnte.
»Da ist noch etwas?«, unterbrach er ihre Gedanken.
»Nun, da Vater tot ist …« Anna stockte kurz, denn noch immer gingen ihr diese Worte schwer über die Lippen.
Wegener nickte mitfühlend. »Auch mir fehlt er.«
»Habt Dank.« Sie schluckte schwer, dann fuhr sie fort: »Die Zunft braucht einen neuen Zunftmeister.« Sie sprach nicht weiter, wollte erst sehen, wie er reagierte.
»Vermutlich wird es Friedrichs, das hört man zumindest hier und da«, ergänzte er ruhig.
»Ja, obwohl er doch nicht der Älteste ist.«
»Das ist der alte Fries.«
»Genau.«
»Und du glaubst …?« Wegener sah sie erstaunt an. »Friedrichs würde sicher vieles für seinen Vorteil tun, aber ich bezweifle, dass er so weit gehen würde.« Er seufzte. »Doch wer kann schon in Menschen hineinschauen? Das vermag nur der liebe Herrgott.«
Anna dachte über das Gesagte nach, als es klopfte und eine Magd mit einem kleinen Fellknäuel im Arm hereinkam.
»Ach, da ist sie ja«, strahlte Wegener und ließ sich das kleine Wesen in seine gewaltigen Hände legen, in denen es beinahe verschwand. Es miaute protestierend und drehte den kleinen Kopf ängstlich nach allen Seiten. Als Wegener das Kätzchen behutsam streichelte und an seine Wange hielt, war Anna sprachlos. Viele behandelten Katzen als notwendiges Übel, um Ratten und Mäuse fernzuhalten, doch selten wurden sie gemocht.
»Ja, meine Kleine, du bekommst jetzt eine große Aufgabe, denn du musst das Haus der Oldes sauber halten.« Wegener blinzelte Anna zu. »Vorausgesetzt, Anna möchte dich mitnehmen.«
Wie zur Bestätigung maunzte das kleine Ding, und Anna konnte gar nicht anders, als freudig zu nicken. Der Hüne stand auf, umrundete den Tisch und reichte ihr vorsichtig, beinahe zärtlich die kleine Katze. Sie war leicht wie eine Feder, warm und flauschig, hatte weiß-rotes Fell und große rosige Ohren sowie himmelblaue Augen. Liebevoll nahm Anna die Kleine in den Arm, und mit einem Plumps ließ sich das Kätzchen dort nieder. Als Anna das samtige Fell streichelte, gab es ein lautes Schnurren von sich.
»Ich soll sie mitnehmen?« Anna war gerührt, denn sie mochte Katzen seit ihrer Kindheit. Es waren eigensinnige und zärtliche kleine Wesen, aber auch ebenso gute Jäger.
»Ja, ich hörte eure Thea klagen, dass ihr Mäuse im Haus habt und eure Katze verschwunden ist. Wenn die junge Katzendame etwas gereift ist, wird sie sicher dafür sorgen, dass euer Haus keine unerwünschten Besucher mehr bekommt. Hier und da ein Schüsselchen Milch und ein warmer Platz am Herd oder in der Scheune, und sie wird ein dankbarer Bewohner sein.«
Ihr Kater war tatsächlich vor einigen Wochen nicht mehr von seinen Streifzügen zurückgekehrt. Da er sehr scheu gewesen war und in der Scheune nächtigte, war es Anna anfangs nicht aufgefallen.
»Sie war die Schwächste bei der Geburt. Gebt ihr einen starken Namen, das wird ihr guttun.«
»Danke, Herr Wegener, das werde ich, und ich glaube, ich weiß auch schon einen.«
»So, welchen denn?«
»Erinnert Ihr euch an die Gauklertruppe, die vor zwei Monaten auf dem Freimarkt war und bei der es diese starke Frau gab, die mit Männern gekämpft hat?«
Wegener ließ ein kehliges Lachen hören. »Sicher erinnere ich mich, nur ihren Namen weiß ich nicht mehr. Aber sie hat zwei meiner Knechte zu Fall gebracht. Sie werden noch heute damit aufgezogen.«
»Nicht nur die.« Anna musste ebenfalls lachen, denn sie hatte gesehen, welch gewaltige Kraft diese Frau gehabt hatte. »Ihr Name war Gräfin.«
»Richtig, jetzt wo du ihn sagst, fällt es mir wieder ein. Das ist ein edler Name und passt gut zu der Kleinen. Ich bin sicher, sie wird ihn mit Stolz tragen.«
Einer von Wegeners Knechten brachte Anna mit dem Wagen nach Hause, und während das Gespann über den gefrorenen Boden holperte, kuschelte die Gräfin sich eng
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