Rolf Torring 054 ~ Die Indianer Südamerikas
bedeuten?" fragte ich den jungen Hua mit heimlichem Grauen.
Mühsam nach Worten suchend, erklärte er uns den Vorgang, den wir gesehen hatten, der einen — allerdings schauerlichen — Freitod bedeutete. Ebenso wie ein Toba, der durch irgendein Unglück arbeitsunfähig geworden ist, so pflegen auch alte, hinfällige Indianer sich lebendig begraben zu lassen, um den anderen nicht zur Last zu fallen.
Vielleicht hatten diese Alten recht, daß sie lieber aus dem Leben gingen, aber die Art ihres Todes war schauerlich. Ein qualvolles, langsames Ersticken. Ich ging schnell ins Dorf zurück, und Rolf blieb an meiner Seite. Ich mochte mich gar nicht mehr nach dem furchtbaren Ort umsehen, an dem ein Mensch so entsetzlich starb.
„Scheußlich," meinte Rolf leise, »was gibt es nur alles auf der Erde! Komm, wir wollen lieber dort hingehen, dort üben sich die jungen Krieger im Bogenschießen. Hoffentlich vergessen wir den Alten bald."
Das war aber nicht so leicht, denn immer wieder sah ich das Bild vor mir, wie der Greis in das enge Loch gesenkt wurde.
Bald nahm mich aber, das Bogenschießen der Tobas gefangen, denn die Männer leisteten Hervorragendes. Hua erklärte uns, daß einige Jünglinge ihre Kriegerprobe bestehen sollten, und dazu mußten sie auf fünfzig Meter Entfernung von zwanzig Pfeilen wenigstens neunzehn mit unfehlbarer Sicherheit ins Ziel senden. Dann erst galten sie als vollwertiger Mann und durften bei der Häuptlingswahl mitsprechen. Weiter erklärte uns Hua, daß der Häuptling allerdings nur auf Kriegszügen unbedingte Befehlsgewalt habe, sonst aber ein Stammesmitglied wie jeder andere sei.
Nachdem wir eine Zeitlang dem Bogenschießen zugesehen hatten, gingen wir ins Dorf, um die Anfertigung unserer Rucksäcke weiter zu beobachten. Obwohl wir uns mit Hua nur unvollkommen verständigen konnten, hatte er unsere Angaben doch gut verstanden. Drei Tobas waren damit beschäftigt, aus feinem gegerbtem Hirschleder die für uns so notwendigen Rucksäcke anzufertigen, und wir sahen mit Freude, daß sie sich strikt an die Maße hielten, die wir Hua angegeben hatten.
Auch fertigten sie die Nähte so kunstvoll an, daß wir unbedingt wassersichere Rucksäcke für unsere Sachen bekamen, ein sehr wichtiger Umstand in dem flußreichen Südamerika.
Noch einen weiteren interessanten Brauch dieses seltsamen Volkes lernten wir kennen. Als wir mit unserem Dolmetscher weiter durch das Dorf schlenderten, bemerkten wir ein Mädchen, das vor eine Hütte ein Kürbisgefäß stellte und sich dann hinter einem nahen Gebüsch versteckte.
Hua erklärte uns den eigenartigen Vorgang. Die Tobas heiraten nie ein Mädchen desselben Stammes, sondern suchen zu diesem Zweck stets andere Dörfer auf. Jetzt war zum Beispiel ein junger Indianer aus einem Nachbardorf gekommen, um sich hier eine Frau zu suchen.
Es heißt aber, nicht er sucht sich ein Mädchen, sondern irgendein Mädchen, dem er gefällt, nähert sich ihm. Und wenn er auf Jagd ist, stellt sie ihm ein Kürbisgefäß mit einem bierähnlichen Getränk hin. Dieses Gefäß zeigt alle Eigenschaften des Mädchens, die sie in Bilderschrift auf die Wandung ritzt.
Kommt der Toba von der Jagd zurück und trinkt sofort das Bier, dann ist die Werbung angenommen. Verschmäht er es aber, dann bedeutet das eine Beleidigung für das Mädchen, und der Bewerber muß sofort das Dorf verlassen. Kommt die Hochzeit zustande, dann ist die erste Tätigkeit der jungen Frau, eine Hütte zu bauen, und Hua erklärte uns, daß die Tobamädchen die besten, treuesten Ehefrauen seien.
Am Abend sollten wir auch noch einen Tanz der Burschen und Mädchen sehen, bei dem stets die Mädchen sich ihre Partner auswählten und hinter ihnen hertanzten.
Wir hatten diese phantastische Szene mit großem Interesse beobachtet. Dann führte uns aber Hua zum Lagerfeuer des Häuptlings, neben dem unsere drei neuen Rucksäcke, ganz vorzüglich gearbeitet, fertig, lagen.
Hua übersetzte uns die lange Rede, die uns der Häuptling hielt. Er betonte nochmals, daß wir die beiden Forscher im Nordwesten des Gran Chaco finden würden, aber dort gäbe es große, wasserarme Strecken, die höchstens von Salzsümpfen unterbrochen würden.
Der Häuptling wollte uns mit einigen Kriegern bis an den Rand dieser wasserarmen Gegend bringen, dann müßte er umkehren, da dort feindliche Indianer wohnten.
Oro, die Häuptlingstochter, übergab
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