Rolf Torring 072 - Singha der Todbringer
„Hast du das auch empfunden, Pongo?" meinte ich betroffen. „Ich hatte mich zum Schluß durch das Benehmen des Fürsten täuschen lassen. Ich glaubte, mich anfangs geirrt zu haben."
„Und wolltest ihn vor dem Zwerg Garha warnen!" fiel Rolf ein. „Deshalb gab ich dir den Stoß, damit du nicht weitersprechen solltest. Fürst Ramga braucht nicht zu wissen, daß wir bestimmte Beobachtungen gemacht haben. Vor allem wollte ich den Zwerg auf jeden Fall schützen, denn ich glaube, daß Fürst Ramga ihm durch den Haushofmeister den Befehl überbringen ließ, uns durch die große Kobra beißen zu lassen. Der Zwerg hat es aus irgendeinem Grunde nicht getan. Er scheint uns also freundlich gesinnt zu sein, wie ich auch aus seinen Blicken entnehmen zu können glaubte."
„Du meinst, Rolf, daß wir wieder einmal auf einen Feind gestoßen sind, auf einen Menschen, dem wir nichts getan haben, der uns aber nach dem Leben trachtet?" forschte ich gespannt.
„Ja, Hans, das glaube ich," sagte Rolf bestimmt. „Wir haben uns durch die vielen Fälle, in denen wir den Engländern große Dienste leisteten, unerbittliche Feinde unter den Indern geschaffen. Wir müssen zusehen, daß wir uns morgen unter einem Vorwand aus dem Palast entfernen können. Hier sind wir auf keinen Fall unseres Lebens sicher !"
„Achtung, Massers!" flüsterte Pongo. „Mensch kommt!"
Es war unglaublich, daß Pongo das gehört hatte. Als wir jetzt lauschten, konnten wir nicht das geringste Geräusch hören. Und doch wurde plötzlich der Vorhang des Zimmers, in dem wir uns befanden, zur Seite geschoben. Schnell schlüpfte eine kleine Gestalt ins Zimmer, und vor uns verbeugte sich — Garha, der Zwerg.
Rolf ging lächelnd auf ihn zu und bot ihm die Hand, die Garha mit verlegener Miene ergriff. Dann sagte er:
„Ich möchte Sie warnen, meine Herren! Fürst Ramga will Sie verderben. Der Haushofmeister überbrachte mir seinen Befehl, Sie von der großen Kobra beißen zu lassen. Ich sagte ihm, daß sie infolge des Gewitters ungehorsam sei. Ob er es glaubt, weiß ich nicht. Nehmen Sie sich in acht, meine Herren, und verlassen Sie schnell den Palast!"
„Ich danke Ihnen, Garha," sagte Rolf freundlich. „Wir ahnten schon, daß wir hier in großer Gefahr sind. Morgen nach dem Kampfspiel, das uns der Fürst zeigen will, werden wir den Palast verlassen."
„Ein Kampfspiel?" fragte der Zwerg gespannt. „Das ist für Sie gefährlich! Welche Tiere sollen gegeneinander kämpfen?"
„Der Elefantenbulle Singha gegen einen Tiger," sagte Rolf.
„Das ist der neue Tiger, der erst jetzt von einem Bekannten dem Fürsten geschickt wurde," meinte Garha sinnend. „Er soll ein riesiges Tier sein. Was mag der Fürst beabsichtigen? Eine Teufelei gegen Sie ist bestimmt geplant! Ich werde aufpassen. Seien auch Sie auf der Hut, meine Herren!"
„Ich danke Ihnen für Ihre Warnung," sagte Rolf. "Ich möchte aber auch Sie warnen. Anscheinend weiß der Fürst, daß Sie ihn hassen, nachdem er Sie in der Arena schlug. Kistna erzählte uns die Geschichte des Dieners, der Sie beleidigt hat."
Das Gesicht des Zwerges verzerrte sich. Es war gewissermaßen durchglüht von Haß. Instinktiv fühlte ich, daß Fürst Ramga nicht mehr lange leben würde.
„Ja," stieß Garha hervor, „er hat mich geschlagen. Das soll er bitter büßen! Vielleicht kommen Sie gar nicht mehr in Gefahr, meine Herren, die Nacht ist lang! Ramga hat zwar eine treue Leibwache, die mißtrauisch und aufmerksam ist, doch ich werde sehen! Auf jeden Fall müssen Sie sehr vorsichtig sein, wenn der Fürst Ihnen morgen doch den Kampf zeigt."
Garha machte eine kurze Verbeugung, dann schlüpfte er schnell aus dem Zimmer, ehe wir noch etwas sagen konnten. Mir kam es vor, als wäre der Tod aus dem Zimmer gegangen, um jetzt den Fürsten aufzusuchen. Leise sagte ich zu Rolf:
„Eigentlich tut mir der Fürst leid. Wir wissen ja nicht genau, ob er gefährliche Absichten gegen uns hat. Der Haushofmeister kann auch von sich aus dem Zwerg den Befehl überbracht haben, wenn — ihn der Zwerg überhaupt erhalten hat. Ob wir Ramga warnen?"
„Deine Einwendungen sind nur in gewisser Hinsicht richtig," meinte Rolf. „Wir müssen jedem hier mißtrauen, auch dem Zwerg! Aber mein Gefühl sagt mir, daß er es ehrlich mit uns meint. Du wirst ebenso denken. Wir wollen uns nicht in die Angelegenheit zwischen dem Fürsten und dem Zwerg
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