Rolf Torring 083 - Der rosa Diamant
sich aufhalten könnte."
„Sie werden schon verhört," sagte Gari kurz.
Wir gingen in den Tempel zurück. Das leere Auge des Gottes redete eine drohende Sprache. Bald kam der zweite Brahmane und sagte ernst:
„Sie haben alles gestanden. Haugen und Bronck hatten es auf den rosa Diamanten abgesehen. Ursprünglich sollten beide Augen des Gottes gestohlen werden. Hellwig oder der Javane kamen Haugen und Bronck zuvor. Sie haben gestanden, daß der Javane eine Zeitlang außerhalb der Stadt in einer Hütte wohnte."
„Dort müssen wir nachforschen!" rief Rolf sofort. „Vielleicht hat er Spuren hinterlassen. Vorwärts!"
„Fräulein Hellwig kann den Tempel verlassen," sagte der alte Brahmane. „Wir haben uns von ihrer Unschuld überzeugt."
„Nein, wir werden sie später persönlich an den Zug bringen," meinte Rolf. „Sie wird wohl nach Agra zu Lady Irving zurückkehren. Jetzt zur Hütte!"
Haugen und Bronck hatten den Weg zur Hütte genau beschrieben. Als wir dort anlangten und den halbdunklen Raum betraten, schraken wir zurück. Zwei Körper lagen am Boden. Nach ihrem Zustande mußten sie schon einen ganzen Tag dort liegen.
Es war ein Europäer mit grauenhaft verzerrtem Gesicht. In der starren Rechten hielt er eine Pistole. Ihm gegenüber lag ein Javane. Er hatte auch im Tode auf seinen Zügen ein grausames Lächeln. So schnell hatte ihn der Tod aus der Waffe Hellwigs — das war der Europäer — ereilt, daß das Lachen geblieben war, als das Nickelstahlmantelgeschoß seine Stirn durchschlug.
Die linke Hand des Javanen umklammerte einen Gegenstand, der ein rötliches Licht ausstrahlte. Gari bückte sich nieder und löste den Gegenstand aus der verkrampften Hand. Er hielt ihn empor.
Ein wunderbarer, großer rosa Diamant schien den Raum zu erhellen. Über das Gesicht des alten Brahmanen liefen die Freudentränen.
„Das Auge Schiwas ist wieder da," flüsterte er. „Ich danke Ihnen, meine Herren! So schnell hätten wir das Rätsel nicht gelöst."
***
Die Tragödie, die sich in der Hütte abgespielt hatte, war leicht zu rekonstruieren. Der Javane mußte dem sterbenden Hellwig zugerufen haben, daß er sein Mörder sei, daß er veranlaßt habe, daß ihm der Reis mit den Pferdehaaren gegeben würde, als er zum Diebstahl des Diamanten mit den Spießgesellen Haugen und Bronck eintraf und schließlich im Dorfe Sankas landete. Höhnend hatte er dem Todwunden den Stein gezeigt. Da ereilte ihn die Kugel aus der Hand des Sterbenden.
Wir erfuhren nie das Geheimnis, das Hellwig mit dem Javanen, mit Haugen und Bronck verbunden hatte, denn als wir nach den beiden Deutschen fragten, erklärte Gari ruhig, daß sie ihre Schuld schon verbüßt hätten.
Wir sagten Elisabeth Hellwig nicht, daß ihr Bruder einen so schweren Tod gehabt hatte. Ich war froh, als das junge Mädchen den Zug nach Agra bestieg. Auf telegrafische Anfrage hatte Lord Irving sofort zurück depeschiert, daß sie jederzeit wieder zu seiner Frau kommen könnte
Maha, unser treuer Gepard, fand sich noch am gleichen Tage wieder ein. Er war entkommen, als Haugen und Bronck unseren Sampan von den Indern umkippen und uns im Wasser gefangennehmen ließen. Allein hatte er den Weg zur Stadt gefunden. Da war er einem Polizisten aufgefallen, der ihn gelockt und zur Polizeistation mitgenommen hatte. Der Chef der Station war von unserem Kommen durch Lord Irving bereits telefonisch unterrichtet worden.
Wir blieben in Kotah, bis die Priester dem Gotte das Auge wieder eingesetzt hatten. Gari drückte zum Abschied jedem von uns ein kleines Andenken in die Hand — einen Diamanten. Wenn ich ihn heute betrachte, kann ich mich eines leisen Schauers nicht erwehren.
Wir hofften, uns Indien einmal in aller Ruhe ansehen zu können. Es sollte nicht sein, denn bald waren wir wieder in ein neues Abenteuer verwickelt, das ich beschrieben habe in
Band 84: „Der Geisterzug".
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