Rolf Torring 096 - Ein furchtbares Geheimnis
eine hohe Belohnung für den ausgesetzt hat, der ihm die Tochter wieder zuführt."
Watson ließ sich an unserem Tische nieder und fügte hinzu:
„Jetzt wird die Sache mit Doktor Thassa interessant. Er liebt die Tochter des Gesandten und hat ihr einen Antrag gemacht, der von ihr wie von ihrem Vater energisch abgewiesen wurde. Das war vor zwei Tagen. Heute ist das Mädchen plötzlich verschwunden. Hat er sie entführt? Was sagen Sie dazu, meine Herren?"
„Bis jetzt noch gar nichts," bemerkte Rolf trocken. „Am besten wird es sein, wenn wir uns dem Gesandten zur Verfügung stellen. Vielleicht erfahren wir dort die näheren Umstände, unter denen die junge Dame verschwunden ist."
„Das würde ich an Ihrer Stelle tun, meine Herren, und zwar sofort. lch kann Sie leider nicht begleiten, da ich noch eine wichtige Pressekonferenz habe. Bis heute abend. Auf Wiedersehen!"
Rolf und ich blieben noch eine Weile im Café.
Rolf sah sinnend vor sich hin und sagte kein Wort. Endlich fragte ich ihn, was er von der Sache halte.
„Ja, Hans, alles scheint gegen Doktor Thassa zu sprechen. Und doch kann er ganz unschuldig sein: dummes Zusammentreffen von Umständen. Der Mann macht auf mich den Eindruck, als ob er mehr verstehe als andere Menschen. Allein sein Blick sagte mir vieles."
„Und was wollen wir beim Gesandten, Rolf? Willst du wieder einmal als Detektiv auftreten? Das ist dir doch in der Seele zuwider."
„Ich habe es mir anders überlegt, Hans. Wir werden den Gesandten nicht aufsuchen. Durch den Reporter wird bald ganz Kathmandu wissen, daß wir hier sind. Paß auf, wir werden keinen leichten Stand haben."
„Wäre es nicht besser, Rolf, wenn wir den Wald gleich aufsuchten? Am Tage lassen sich Spuren leichter verfolgen als nachts."
Rolf lachte,
„Das will ich auch! Wir können aber den Reporter dabei nicht gebrauchen. Deshalb verabredete ich mich mit ihm für heute abend. Wir wollen Pongo Bescheid sagen und gleich losgehen."
Pongo war zu Hause geblieben. Wir informierten ihn, uns in gewissem Abstände zu folgen, damit wir eine gute Rückendeckung hätten.
Eine Stunde später verließen wir Kathmandu und wanderten durch das Tal dem fernen Waldstreifen zu. Friedlich und still lag der Wald da, als wir uns ihm näherten. Kein Mensch konnte annehmen, daß er Geheimnisse barg.
Wir waren noch einen halben Kilometer vom Walde entfernt, als Rolf plötzlich meinen Arm festhielt und auf ein dichtes Gebüsch am Waldrand zeigte.
Dort schlich ein Inder entlang, der sich scheu oder suchend nach allen Seiten umsah.
Als er das Gebüsch passierte, sprang plötzlich ein großer Tiger hervor und schlug den Inder zu Boden. Das geschah so schnell, daß wir nicht eingreifen konnten. Wir waren ja noch fünfhundert Meter entfernt. Der Tiger zerriß sein Opfer nicht sofort, sondern zog es ins Gebüsch hinein. Dann lag der Wald wieder so friedlich da wie zuvor.
„Sollte das der 'Dschungelgeist' gewesen sein?" fragte ich erschrocken.
„Es scheint so, Hans. Wir wollen uns beeilen. Vielleicht können wir den Inder noch retten. Es kann ein Einwohner von Kathmandu sein, der — durch die hohe Belohnung des Gesandten verlockt — auf eigene Faust nach dessen Tochter gesucht hat. Komm schnell!"
Wir eilten dem Walde zu und erreichten das dichte Buschwerk, aus dem der Tiger hervorgesprungen war. Jetzt wurden wir vorsichtiger. Die Pistolen schußbereit in den Händen haltend, drangen wir in den Wald ein. Der Tiger mußte sich mit seinem Opfer schon ein ganzes Stück entfernt haben, da wir kein Geräusch mehr hörten.
Ich schaute mich nach Pongo um, konnte ihn aber nicht entdecken. Er wußte uns immer sehr geschickt zu folgen und wahrte gute Deckung.
Wir mußten weiter ins Dschungel hinein. Vom Tiger fanden wir keine Spur, so sehr wir auch nach ihm suchten. Leider war Pongo nicht bei uns; er hätte vielleicht mehr gesehen.
Nach meiner Schätzung mußten wir bald zwei Kilometer in den Wald eingedrungen sein. Ich wollte Rolf gerade fragen, ob es nicht besser sei umzukehren, als kurz vor uns ein verdächtiges Geräusch aufklang. Gleich darauf hörten wir das Fauchen eines Tigers.
Schnell verschwanden wir hinter zwei Bäumen, um das Erscheinen des Tigers abzuwarten. Einige Sekunden vergingen, dann sahen wir ihn durch das Gebüsch schleichen. Er kam auf mich zu. Schon schien er mich gewittert zu
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