Rolf Torring 098 - Indische Märchen
Pfad, der uns zur Lichtung führen sollte.
Der Tag war heiß. Im Walde war es kühler als auf der offenen Straße. Eine unheimliche Stille umgab uns. Ich wunderte mich über den Mut des Professors, hier allein entlangzumarschieren.
Der Pfad schlängelte sich in vielen Windungen durch das Dickicht. Wir gaben scharf Obacht, denn auf das Wort des Professors, daß hier keine wilden Tiere lebten, wollten wir uns nicht verlassen.
Unbehelligt erreichten wir in einer knappen Stunde die Lichtung, die sich an der einen Uferseite des Teiches ausdehnte. Von besonderen landschaftlichen Reizen, die hier stärker als in anderen Dschungelgebieten in Erscheinung treten sollten, bemerkte ich nichts.
Der Pfad schien hier zu enden, denn als wir die Lichtung umschritten, fanden wir auf der anderen Seite keinen Durchschlupf. Wir hätten uns erst mit den Messern einen Weg bahnen müssen, wenn wir beabsichtigt hätten, weiter in den Urwald einzudringen.
Rolf hatte sich genau umgesehen und setzte sich in der Nähe des Teiches nieder. Es tat gut, hier auszuruhen, denn wir konnten im Schatten eines hohen Baumes liegen, hatten aber den Teich übersichtlich vor uns.
„Wir wollen Teich und Lichtung ständig im Auge behalten, Hans. Es könnte sein, daß uns hier eine Falle gestellt wird."
„Das war gestern mein erster Gedanke, Rolf, als der Professor von der Lichtung am Teich erzählte."
Balling sagte gar nichts. Wie übermüdet hielt er die Augen halb geschlossen, ich wußte jedoch, daß ihm nichts entging, was auf dem Teich und in seiner Umgebung geschah.
Zwei Stunden saßen wir dort im Grase, ohne daß sich etwas ereignete. Langsam wurde ich müde und schloß die Augen.
Ich mußte eingeschlafen sein, denn plötzlich weckte mich Rolf höchst unsanft durch einen Knuff. Als ich erschrocken auffuhr, deutete er stumm auf den Teich hinaus und machte eine Bewegung, nicht zu sprechen.
Ich traute meinen Augen kaum, als ich sah, was sich jenseits des Teiches ereignet hatte. Wo vorher dichtes Gebüsch gestanden hatte, befand sich jetzt ein gepflegter Rasenplatz, über den langsam eine junge Inderin schritt. Sie ging bis zum Ufer des Teiches, entledigte sich ihrer Kleidung und stieg ins Wasser hinein.
Mit weit ausholenden Schwimmbewegungen umkreiste die junge Inderin, die dem Kindesalter kaum entwachsen sein konnte, den Teich. Plötzlich sah ich, wie sich vier dunkle Körper auf die Inderin zu bewegten. Ich erschrak: das waren Krokodile! Die Inderin schien die Gefahr nicht zu bemerken, denn sie schwamm ruhig weiter. Schon wollte ich einen lauten Warnruf ausstoßen, als mich Rolf am Arm packte und wieder die Gebärde des Schweigens machte.
Die Krokodile schwammen nicht bis zu der Inderin heran, sie stoppten in einiger Entfernung und hielten ihre Köpfe starr auf die Inderin gerichtet.
Balling hatte schon die Pistole gezogen, aber auch ihm winkte Rolf ab.
Nach einer Viertelstunde entstieg die junge Inderin dem Wasser, hüllte sich in ihr Gewand und schritt leichtfüßig über die Rasenfläche. Wie Kulissen auf einer Bühne schoben sich kurz darauf dichte Büsche vor das Bild. Das Ufer des Teiches lag wie vordem da.
Verblüfft schaute ich Rolf und Balling an. War das ein Spuk gewesen?
„Wie können sich denn hier die Büsche verschieben?" fragte ich.
„Das läßt sich durch eine mechanische Hebeleinrichtung wohl machen," meinte Rolf. „Was mir viel wunderbarer erscheint, ist die Tatsache, daß die Krokodile der Badenixe nichts getan haben. Wie kommt das junge Mädchen überhaupt hierher in das Dschungel? Das ist das Rätsel, das der Professor als Wunder bezeichnet hat, weil er es nicht lösen konnte. Ich nehme an, daß er mehr über die Zusammenhänge weiß, da er davon sprach, ihm wäre ein Versprechen abgenommen worden, über das 'Wunder' nicht zu reden."
„Lassen Sie uns hinübergehen," meinte Balling, „und nach den Spuren des Mädchens suchen!"
„Wollen Sie durch das dichte Gestrüpp hindurch, Herr Balling?" fragte Rolf sofort und wies auf die Sträucher am Ufer. „Da können Sie stundenlang mit dem Messer herum arbeiten und kommen nicht durch."
„Der Professor muß ja auch einen Weg gefunden haben, meine Herren! Sollen wir bis heute abend warten, um ihn zu fragen?"
„Ich glaube kaum, Herr Balling, daß er uns etwas erzählen würde, da er an sein Versprechen gebunden ist. Wir müssen es auf
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