Rolf Torring 113 - Die Macht der Priester
Kanal zu entkommen. Sie würden also alles in ihrer Macht Stehende tun, um unsere Flucht zu verhindern.
„Das Wasser steigt immer mehr, Rolf!" rief ich. „Die Priester wissen genau, wo wir uns befinden."
„Ja, wir müssen uns beeilen!"
Lord James Hagerstony sagte gar nichts. Er kämpfte energisch gegen das steigende und dadurch mehr Strömung erhaltende Wasser an, das uns schon bis zu den Hüften ging. Ich selber wäre am liebsten umgekehrt, sah aber ein, daß das jetzt keinen Zweck gehabt hätte.
Da das Wasser immer mehr stieg, kamen wir nur langsam vorwärts. Plötzlich stieß der Lord eine Verwünschung aus. Er konnte nicht weiter: ein Gitter versperrte ihm den Weg. Heftig rüttelte er an den Eisenstäben, sie gaben aber nicht nach.
„Aus!" sagte er.
In seiner Stimme lag eine große Niedergeschlagenheit, denn das Wasser stieg immer schneller und reichte uns schon bis an die Brust. Wir mußten bereits die Taschenlampen hochhalten, um sie vor der Nässe zu schützen.
„Ein paar Meter zurück!" rief Rolf. „Schnell! Dort ist unsere einzige Rettung!"
Ich wußte zwar nicht, was Rolf meinte, machte aber sofort kehrt. Kaum war ich zehn oder fünfzehn Meter zurückgegangen, rief Rolf:
„Halt, Hans, du bist schon zu weit gegangen. Umkehren!"
Auch diesem Ruf leistete ich Folge. Mein Freund deutete nach oben. Über uns hatte die Decke ein Loch, da schien eine Art Kamin nach oben zu führen. Er war so schmal, daß gerade nur ein Mensch in ihn hineinkriechen konnte.
„ Schnell! Hinauf! Da oben sind wir vor dem Wasser sicher! Steigen Sie auf meine Schultern, Lord Hagerstony! Und arbeiten Sie sich hoch!"
Lord Hagerstony kletterte an Rolf empor, stand auf seinen Schultern und fand in Fugen und an Vorsprüngen der Kaminwand genügend Halt, um nach oben steigen zu können. Ihm folgten Balling und ich. Mir blieb die Aufgabe, Rolf zu helfen, der allein nicht bis an die Kaminöffnung herankam. Ich nahm ihm die Taschenlampe ab und klemmte mich mit dem Rücken und den Armen im Kamin fest, rutschte wieder ein Stück tiefer, bis Rolf meine Beine fassen konnte, und hielt durch, bis er so hoch geklettert war, daß er sich selber an den Steinvorsprüngen halten konnte. Dann kroch ich weiter nach oben.
Jetzt waren wir vor dem Wasser sicher. Es hatte den Kanalgang völlig ausgefüllt. Meine Befürchtung, daß es vielleicht auch in den Kamin eindringen würde, erwies sich glücklicherweise als unbegründet.
Eine unangenehme Wartezeit begann für uns. Wir mußten — in den Kamin geklemmt — aushalten. Nur Rolf und Lord Hagerstony hatten einen Vorsprung gefunden, auf den sie sich — wenn auch unter Beschwerden — setzen konnten. Aber auch Ballina und ich mußten durchhalten. Wenn wir abgerutscht wären, hätte es unseren sicheren Tod bedeutet.
Minute auf Minute verging. Ab und zu leuchtete ich nach unten, um zu sehen, ob das Wasser schon im Fallen begriffen sei. Aber es füllte noch immer den ganzen Tunnel aus.
Aus den Minuten wurden Viertelstunden, aus den Viertelstunden eine ganze, zwei ganze Stunden. Endlich stellte ich fest, daß das Wasser zu fallen begann, Ich wartete nur so lange, bis die Decke des Tunnels frei lag und ein geringer Zwischenraum vorhanden war. Dann sprang ich hinab. Das Wasser reichte mir noch bis zur Brust. Langsam folgten die Kameraden.
„Sofort weiter!" sagte Rolf leise. „Nicht laut sprechen! Der Schall hier trägt weit!"
„Wohin, Mister Torring?" fragte der Lord. „Das Gitter versperrt uns ja den Weg."
„Vielleicht reicht es nicht bis zum Boden, so daß wir darunter wegtauchen können."
„Wir wollen es versuchen!"
Minuten später hatten wir uns erneut bis an das Gitter herangearbeitet. Rolf übergab mir die Taschenlampe und tauchte. Er blieb ziemlich lange unter Wasser, kam aber schließlich auf der anderen Seite des Gitters wieder zum Vorschein. Lächelnd blickte er uns an.
„Ein unangenehmer Ausgang" meinte er. „Aber er ist gangbar, das Gitter reicht nicht bis auf den Boden des Kanals."
Lord Hagerstony war der nächste, der tauchte, Balling folgte, ich machte den Schluss.
Langsam fiel das Wasser, es reichte uns nur noch bis über die Knie. So kamen wir schneller vorwärts. Schon hofften wir, unbehelligt ins Freie zu kommen, da — versperrte ein zweites Gitter den Weg. Wieder versuchten wir, darunter wegzutauchen. Hier aber hatten
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