Rolf Torring 121 - Der Rätsel-Gott
meiner Ansicht nach den richtigen Einfall gehabt: wenn überhaupt, werden wir den Rätselgott im Gewölbe einer Klosterruine finden."
„Die Ruine, an die ich denke, liegt vier Kilometer von Tschung-King entfernt. Man erzählt sich, daß es darin spuke. Vielleicht ist das Gerücht absichtlich ausgestreut worden, um Unberufene vom Besuch abzuschrecken. Wollen wir morgen gleich dorthin?" fragte Tuin Kolo.
„Das scheint mir nicht so einfach, wie Sie sich die Sache denken, Mister Kolo. Vor allem dürfen wir nicht zeigen, daß wir Mitglieder der Sekte des „Grünen Käfers" sind, denn die Geheimsekte des Rätselgottes wird Zweck und Ziel des „Grünen Käfer" längst kennen. Am besten wird es sein, wenn ich mit meinem Freunde Hans zunächst in der Nacht allein versuche, den Rätselgott zu finden. Möglich, daß wir gleich beim ersten Male Glück haben."
„Sie glauben also, daß sich schon eine Gemeinde um den Rätselgott gebildet hat, Herr Torring?" fragte Tuin Kolo weiter.
„Wir müssen damit rechnen, Mister Kolo. Wenn der Gott nicht beschützt würde, wäre sicher Herr Hunter nicht so plötzlich verschwunden. Ich rechne damit, daß wir es mit Menschen zu tun haben, die sich ihren Gott unter keinen Umständen nehmen lassen wollen, die überhaupt nicht wollen, daß man von seiner Existenz außerhalb der eigenen Kreise erfährt."
„Dann sind wir ja eigentlich zu spät gekommen, meine Herren," sagte Tuin Kolo etwas betrübt. „Die Gründung der Sekte des ,Grünen Käfers' hätte sich als zwecklos also überholt."
„Vielleicht können Sie sich mit den Leuten einigen," versuchte Rolf Tuin Kolo zu trösten. „Beide Sekten können doch den gleichen Gott verehren. Ein Gott ist doch kein Privileg, nicht das ausschließliche Eigentum einer beschränkten Gruppe von Menschen."
„Wir wollten den Gott für uns haben," meinte Tuin Kolo.
„Sie können ihn den Leuten ja nicht einfach fortnehmen," erwiderte Rolf.
Tuin Kolo lief den ganzen Tag mit gesenktem Kopf an Deck umher. Er konnte es nicht so leicht verwinden, daß andere ihm zuvorgekommen sein könnten.
„Hoffentlich macht uns Tuin Kolo später keine Dummheiten," meinte Rolf leise zu mir. „Wir müssen Professor Kennt bitten, daß er Tuin Kolo nicht aus den Augen läßt, vor allem, wenn wir nachts nach der Klosterruine gehen."
„Was hältst du eigentlich von dem Rätselgott, Rolf? Er soll ja auf älteste religiöse Bräuche der Christen zurückgehen."
„Das kann schon sein, Hans. Ein genaues Bild kann ich mir auch noch nicht machen. Wir dürfen eins nicht vergessen, daß die Chinesen früher als andere Völker eine sehr hohe Kultur- und Zivilisationsstufe erreichten, dann aber auf ihr stehenblieben so daß die Völker des Abendlandes sie nicht nur ein- sondern überholten."
„Nimmst du auch an, daß es in Tschung-King schon eine Gemeinde des Rätselgottes gibt?"
„Mit der Möglichkeit rechne ich, Hans. Vielleicht aber sind es auch nur ganz wenige alte Priester, die den Gott verehren und beschützen und sein Geheimnis nicht preisgeben wollen. Wer weiß, welche, kultischen Vorstellungen da maßgebend mitspielen"
„Wenn der Rätselgott wirklich im Kellergewölbe eines halbverfallenen Klosters, das aus sehr früher Zeit stammt, zu finden ist, Rolf, werden wir wohl wieder mit allerhand Überraschungen zu rechnen haben. Die Baukünstler der früheren Zeit überboten sich ja in der Anlage von Geheimgängen, Fallklappen und anderen Sicherheitsvorrichtungen."
„Na, wir haben ähnliche Dinge schon zur Genüge kennen gelernt. Wir werden uns auch da durch finden."
Gegen Abend trafen wir in Tschung-King ein. Rolf wollte nicht sofort in die Stadt gehen und ließ die Jacht auch nicht unmittelbar am Bollwerk festmachen.
Tuin Kolo wollte uns durchaus begleiten; es bedurfte Rolfs ganzer Überredungskunst, ihn von seinem Vorsatz abzubringen.
Wir ließen uns die Lage der Klosteruine genau beschreiben. Nachdem es dunkel geworden war und der Professor uns das Versprechen gegeben hatte, Tuin Kolo nicht aus den Augen zu lassen, machten wir uns auf den Weg.
Tschung-King, die „Stadt der doppelten Freude", liegt in der Provinz Sz-Tschuan dort, wo der von Norden kommende Kia-Ling-Fluß des „schönen Bergzuges" in den „Sohn des Ozeans", den Jang-tse-kiang, mündet. Sie hat schmale, oft steil emporsteigende Straßen. Wagen und Pferde sieht man kaum;
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