Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rollende Steine

Rollende Steine

Titel: Rollende Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
letzter Zeit etwas… äh… Seltsames aufgefallen?« fragte Susanne.
    »Etwas Seltsames?« wiederholte Gloria.
    »Nun, zum Beispiel… Ratten…«
    »Ich habe im Internat nirgends Ratten gesehen«, erwiderte Gloria. »Und ich habe aufmerksam Ausschau gehalten.«
    »Ich meine… seltsame Ratten.«
    Sie erreichten die Ställe. Normalerweise dienten sie den beiden Pferden der Internatskutsche als Heim. Außerdem wohnten dort einige wenige Rösser der Schülerinnen, die sich nicht von ihnen trennen konnten.
    Manche Mädchen wären nicht einmal dann imstande, Ordnung in ihrem Zimmer zu schaffen, wenn ihr eigenes Überleben davon abhinge. Und die gleichen Mädchen gäben alles für das Privileg, den ganzen Tag über Mist in einem Stall zu schaufeln. Dies war eine besondere Form der Magie, die auf Susanne ohne Wirkung blieb. Sie hatte nichts gegen Pferde, doch mit Zaumzeug und Gurten konnte sie sich nicht recht anfreunden. Außerdem blieb ihr ein Rätsel, warum man Pferde in »Handbreiten« maß, obgleich viel vertrautere Zoll und Zentimeter zur Verfügung standen. Nachdem Susanne die in Reithosen gekleideten Mädchen bei den Ställen eine Zeitlang beobachtet hatte, glaubte sie, eine Erklärung gefunden zu haben: Diese Schülerinnen benutzten ihre Hände als Maßstab, weil sie nicht mit so komplizierten Apparaten wie Linealen umgehen konnten.
    »Na schön«, sagte Susanne. »Was ist mit Raben?«
    Etwas blies ihr ins Ohr.
    Sie drehte sich um.
    Der weiße Hengst stand mitten auf dem Weg wie ein schlechter Spezialeffekt. Er war zu hell. Er glühte. Er schien das einzige wirkliche Wesen in einer Welt aus blassen Schemen zu sein. Im Vergleich mit den knolligen Ponies in den Boxen war er ein Riese.
    Zwei in Reithosen gekleidete Mädchen standen neben dem weißen Pferd. Susanne erkannte Kassandra Fuchs und Lady Sara Dankbar. Sie teilten eine innige Liebe für alles, was vier Beine hatte und wieherte. Außerdem verachteten sie alle Geschöpfe, die nicht über vier Beine verfügten und wieherten, hatten die Fähigkeit, die Welt mit den Zähnen zu betrachten und das Geschick, Silben wie »oh« mit vier Vokalen auszustatten.
    Der weiße Hengst schnaubte leise und beschnüffelte Susannes Hand.
    Du bist Binky, dachte sie. Ich kenne dich. Ich bin auf dir geritten. Du… gehörst mir. Glaube ich.
    »Ich frage mich, wem dieses Pferd gehört«, ließ sich Lady Sara vernehmen.
    Susanne drehte den Kopf.
    »Wie bitte?« erwiderte sie. »Mir? Ja. Ja, ich denke, es gehört mir.«
    »Oiuah? Es stand in der Box neben Brauni. Ich wußte gar nicht, daß du hier ein Pferd hast. Du wirst es doch nicht etwa versäumt haben, Frau Anstands Erlaubnis einzuholen, oder?«
    »Der Hengst ist ein Geschenk«, sagte Susanne. »Von… jemandem…?«
    In den trüben Wassern von Susannes Gedächtnis rührte sich etwas. Sie überlegte, warum sie von einem Geschenk gesprochen hatte. Ein Geschenk von ihrem Großvater… sonderbar. Seit Jahren habe ich nicht mehr an ihn gedacht, fuhr es ihr durch den Sinn. Bis gestern nacht.
    Ich erinnere mich an den Stall. Er war so groß, daß man nicht die Wände sehen konnte. Einmal durfte ich reiten, und jemand hielt mich fest, damit ich nicht herunterfiel. Aber von einem solchen Pferd kann man gar nicht herunterfallen. Es sei denn, man will es.
    »Oiuah. Ich wußte gar nicht, daß du reitest.«
    »Ich… bin geritten, früher.«
    »Dafür sind zusätzliche Gebühren fällig«, sagte Lady Sara. »Für das Pferd, meine ich.«
    Susanne schwieg. Sie war ziemlich sicher, daß die zusätzlichen Gebühren bezahlt wurden.
    »Außerdem brauchst du Sattel und Zaumzeug.«
    Susanne ging darauf ein.
    »So etwas brauche ich nicht.«
    »Oiuah, Reiten ohne Sattel«, bemerkte Lady Sara. »Und du steuerst mit Hilfe der Ohren?«
    »Die Leute in der Provinz können sich keine Sättel leisten«, warf Kassandra Fuchs ein. »Und die Zwergin soll aufhören, mein Pony anzusehen. Sie sieht mein Pony an!«
    »Ich sehe es nur an«, sagte Gloria.
    »Du hast dir… die Lippen geleckt«, behauptete Kassandra.
    Es trippelte und trappelte auf dem Kopfsteinpflaster. Dann schwang sich Susanne auf den Rücken des Pferdes.
    Sie blickte auf die verblüfften Mädchen hinab und sah dann zur Koppel hinter den Ställen. Dort standen einige Hindernisse in Form von Holzstangen auf Tonnen.
    Susanne rührte keinen Muskel, doch das weiße Roß drehte sich um, trabte zur Koppel, lief dem höchsten Hindernis entgegen – Energie ballte sich zusammen, und es beschleunigte –

Weitere Kostenlose Bücher