Rollende Steine
wenn es kein Skelett gewesen wäre.
Susanne kramte in den Schubladen – sie nahm an, daß sie sich im ehemaligen Zimmer ihrer Mutter aufhielt. Jede Menge Rosarot zeigte sich den Blicken des Mädchens. Nun, sie hatte nichts gegen Rosarot an sich, aber dieses hier überschritt die Grenzen des Tolerierbaren weit. Susanne entschied, ihre Internatskleidung anzuziehen.
Wichtig war jetzt vor allem, ruhig zu bleiben. Es gab für alles eine vernünftige Erklärung, selbst wenn man sie erfinden mußte.
QUIEFF.
Der Rattentod landete auf der Frisierkommode, und seine kleinen Krallen suchten nach Halt. Er nahm die Sense aus dem Maul.
»Ich glaube«, sagte Susanne vorsichtig, »ich würde jetzt gern heimkehren, danke.«
Die kleine Ratte nickte.
Sie sprang zum Rand des rosaroten Teppichs und eilte in den dunklen Flur davon.
Als Susanne vom Teppich heruntertrat, blieb der Rattentod stehen, drehte sich um und bedachte sie mit einem anerkennenden Blick. Erneut hatte sie das Gefühl, einen Test bestanden zu haben.
Sie folgte der Ratte durch den Korridor und in die von Rauch erfüllte Küche. Albert beugte sich über den Herd.
»Guten Morgen«, sagte er aus reiner Angewohnheit, ohne sich dabei auf eine bestimmte Tageszeit zu beziehen. »Möchtest du gebratenes Brot mit Würstchen? Anschließend gibt’s Haferbrei.«
Susanne betrachtete die undefinierbare Masse in der großen Pfanne. Ein solcher Anblick war nichts für einen leeren Magen, obwohl er sicher einen verursachen konnte. Albert konnte in einem Ei den Wunsch wecken, nie gelegt worden zu sein.
»Hast du kein Müsli?« fragte Susanne.
»Sind das besondere Würstchen?« erkundigte sich Albert argwöhnisch.
»Ich meine Nüsse und Getreideflocken.«
»Enthalten sie Fett?«
»Ich glaube nicht.«
»Wie soll man sie dann braten?«
»Müsli wird nicht gebraten.«
»Und so was nennst du Frühstück ?«
»Ein ordentliches Frühstück muß nicht unbedingt gebraten sein«, sagte Susanne. »Haferbrei braucht nicht gebraten zu werden…«
»Wer behauptet das?«
»Wie wär’s mit einem gekochten Ei?«
»Ha, Kochen hat keinen Sinn. Es tötet nicht alle Bazillen.«
»ICH MÖCHTE EIN GEKOCHTES EI, ALBERT.«
Das Echo tanzte hin und her. Susanne fragte sich, wo diese Stimme herkam.
Alberts Schöpfkelle fiel auf den Boden.
»Wie bitte?« brachte Susanne hervor.
»Du hast mit seiner Stimme gesprochen«, sagte Albert.
»Spar dir die Mühe mit dem Ei.« Die Stimme ließ ihren Unterkiefer schmerzen, und das besorgte Susanne mehr als Albert – immerhin war es ihr Mund. »Ich möchte nach Hause!«
»Du bist zu Hause«, entgegnete Albert.
»Hier? Dies ist nicht mein Zuhause!«
»Tatsächlich nicht? Wie lautet die Inschrift der großen Uhr?«
»›Zu spät‹«, antwortete Susanne sofort.
»Wo stehen die Bienenstöcke?«
»Im Obstgarten.«
»Wie viele Teller haben wir?«
»Sieben…« Susanne klappte den Mund so fest wie möglich zu.
»Na bitte«, sagte Albert. »Wenigstens ein Teil von dir ist hier daheim.«
»Hör mal…« Susanne versuchte es erneut mit dem Mittel der Vernunft, in der Hoffnung, daß es diesmal besser funktionierte. »Vielleicht gibt es jemanden, der… sich um gewisse Dinge kümmert, aber ich… bin nichts Besonderes, ich meine…«
»Ach? Und wieso kennt dich das Pferd?«
»Trotzdem bin ich ein ganz normales Mädchen…«
»Normale Mädchen bekommen keine kleine Binky-Figur zum dritten Geburtstag!« erwiderte Albert scharf. »Dein Vater nahm sie dir weg. Das hat den Herrn sehr geärgert. Er meinte es nur gut.«
»Ich bin als ganz normales Kind aufgewachsen. Und jetzt bin ich eine ganz normale Jugendliche.«
»Normale Kinder bekommen ein Xylophon. Sie bitten nicht einfach ihren Großvater darum, daß er sich sein Hemd auszieht.«
»Ich meine, ich kann doch nichts dafür. Man kann mir keine Schuld geben. Es ist nicht fair!«
»Ach?« erwiderte Albert mürrisch. »Warum hast du das nicht gleich gesagt. Das ändert alles. An deiner Stelle würde ich einfach nach draußen gehen und dem Universum mitteilen, daß es nicht fair ist. Es antwortet vermutlich: Oh, entschuldige bitte, daß wir dich belästigt haben. Soll nicht wieder vorkommen.«
»Das ist Sarkasmus! So kannst du nicht mit mir reden! Du bist nur ein Diener!«
»Stimmt. Das gilt auch für dich. Deshalb rate ich dir, mit der Arbeit zu beginnen. Der Rattentod hilft dir. Er kümmert sich hauptsächlich um Ratten, aber das Prinzip ist das gleiche.«
Susanne starrte den Alten mit offenem
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