Rom: Band 1
in diesem symbolischen Dreieck, in diesen drei Berggipfeln zu verkörpern, die einander über den Tiber hinweg anschauten: das aufblühende, antike Rom mit seinen Palästen und Tempeln, der monströsen Blüte kaiserlicher Macht und Pracht; das päpstliche Rom, das im Mittelalter siegreich die Welt beherrschte und diese kolossale Kirche in all ihrer wiedererstandenen Schönheit auf der Christenheit lasten ließ; das jetzige Rom, das er nicht kannte, das er bisher noch nicht studirt hatte, dessen kalter, kahler Königspalast ihm aber einen dürftigen Eindruck machte. Er erschien wie ein frevelhafter Modernisirungsversuch an dieser einzigen Stadt, die man lieber den Träumen von der Zukunft hätte überlassen sollen. Dieses beinahe peinliche Gefühl einer unbequemen Gegenwart unterdrückte er; er verschmähte es, sich bei einem neuen Viertel aufzuhalten, das er ganz deutlich neben Sankt Peter, am Rande des Flusses erblickte. Es war eine ganze farblose Stadt und zweifellos noch im Baue begriffen. Er hatte von einem andern neuen Rom geträumt und träumte noch davon, selbst angesichts des im Staube der Jahrhunderte vernichteten Palatin, angesichts des Domes von Sankt Peter, in dessen weiten Schatten der Vatikan schlummerte, angesichts des frisch hergerichteten und angestrichenen Palastes auf dem Quirinal, der gut bürgerlich die neuen Viertel beherrschte, die überall aufschossen und große Lücken in den Leib der alten Stadt mit ihren roten, in der hellen Morgensonne schimmernden Dächern rissen.
Das neue Rom! Vor den Augen Pierres flammte abermals der Titel seines Buches auf und versenkte ihn in eine neue Träumerei. Er durchlebte sein Buch, so wie er vorhin sein Leben durchlebt hatte. Er hatte es in der Begeisterung niedergeschrieben und die aufgehäuften Notizen aufs Geratewohl verwendet. Und die Einteilung in drei Teile hatte sich sofort von selbst ergeben: die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft.
Die Vergangenheit war die außerordentliche Geschichte des ursprünglichen Christentums, der langsamen Entwicklung, die aus diesem Christentum den jetzigen Katholizismus gemacht hatte. Sie bewies, daß sich hinter jeder religiösen Evolution eine ökonomische Frage verbirgt, kurz, daß das ewige Uebel nichts anderes ist als der ewige Kampf zwischen den Armen und den Reichen. Bei den Juden bricht gleich nach dem Aufhören des Nomadenlebens, gleich nach der Eroberung Kanaans und dem Entstehen des Besitzes der Klassenkrieg los. Es gibt nun Reiche und es gibt Arme; daraus entspringt die soziale Frage. Der Uebergang geschah jählings, der neue Stand der Dinge verschlimmerte sich so rasch, daß die Armen, die sich der goldenen Zeiten des Nomadenlebens noch erinnerten, nun doppelt darunter litten und Abhilfe forderten. Bis zu Jesus waren die Propheten nie etwas anderes als Empörer, die aus dem Elend des Volkes auftauchten, seine Leiden klagten und die Reichen verwünschten, denen sie zur Strafe für ihre Ungerechtigkeit und Härte alles Böse prophezeien. Jesus selbst ist nur der letzte dieser Empörer; er erscheint als die verkörperte Forderung der Rechte der Armen. Die Propheten, lauter Sozialisten und Anarchisten, haben die soziale Gleichheit gepredigt; wenn die Welt nicht mehr gerecht wäre, so müßte sie zerstört werden. Er bringt den Unglücklichen ebenfalls den Abscheu vor dem Reichtum. Seine ganze Lehre ist eine Drohung gegen den Reichtum, gegen den Besitz; und wenn man unter dem himmlischen Reich, das er verheißt, den Frieden und die Brüderlichkeit auf dieser Erde versteht, dann braucht man nur zu dem goldenen Zeitalter des Hirtenlebens, zu dem Traum von der christlichen Gemeinde zurückzukehren, so, wie ihn nach Jesus seine Jünger verwirklicht zu haben schienen. In den drei ersten Jahrhunderten war jede Kirche ein kommunistischer Versuch, eine ausgesprochene Genossenschaft, deren Mitglieder alles gemeinsam besaßen, mit Ausnahme der Frauen. Die Apologeten und die ersten Kirchenväter stellen die Gemeinschaftlichkeit zum Gesetz auf. Damals war das Christentum nur die Religion der Armen und Einfältigen, ein Demokratismus und Sozialismus, der die römische Gesellschaft bekämpfte. Und als diese endlich, vom Gelde angefault, zusammenbrach, da hatten diesen Zusammenbruch weniger die anstürmende Flut der Barbaren und die heimliche Termitenarbeit der Christen bewirkt, als das Agio, die wurmstichigen Banken, der finanzielle Krach. Die Geldfrage liegt allem zu Grunde. Dafür ergab sich ein neuer Beweis, als das
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