Rom: Band 1
Christentum endlich, dank der Zusammenwirkung historischer, sozialer und menschlicher Verhältnisse, den Sieg davontrug und zur Staatsreligion erklärt wurde. Es sah sich, um sich den Sieg vollständig zu sichern, gezwungen, es mit den Reichen und Mächtigen zu halten; und da muß man sehen, mit welchen Spitzfindigkeiten, mit welchen Sophismen die Kirchenväter zuletzt dahin gelangten, in dem Evangelium Christi eine Verteidigung des Besitzes zu entdecken. Für das Christentum war das ein dringendes politisches Lebensbedürfnis; nur um diesen Preis ward es der Katholizismus, die Universalreligion. Von da ab richtet sich die mächtige Maschine als Eroberungs- und Regierungswaffe immer mehr in die Höhe: oben befinden sich die Mächtigen, die Reichen, deren Pflicht es ist, mit den Armen zu teilen, die es aber nicht thun; unten sind die Armen, die Arbeiter, die man Ergebung und Gehorsam lehrt und ihnen dafür das künftige Reich, das göttliche, ewige Entschädigung verspricht. Es ist ein wunderbares Monument, das Jahrhunderte gedauert hat; alles daran baut sich auf die Verheißung des Jenseits, auf den unauslöschlichen Durst nach Unsterblichkeit und Gerechtigkeit, der den Menschen verzehrt.
Pierre hatte diesen ersten Teil seines Buches, die Geschichte der Vergangenheit, durch eine in großen Zügen entworfene Studie des Katholizismus bis auf die Jetztzeit ergänzt. Da war zuerst Sankt Petrus. Ein unwissender, unruhiger Geist, gelangte er durch einen Geniestreich nach Rom und verwirklichte die antiken Orakel, die dem Kapital die Ewigkeit geweissagt hatten. Dann kamen die ersten Päpste, einfache Leiter von Leichenbestattungsvereinen. Hierauf begann das langsame Aufsteigen des allmächtigen Papsttums. Es befand sich im fortwährenden Eroberungskrieg mit der gesamten Welt und bestrebte sich unablässig, seinen Traum von der Weltherrschaft zu verwirklichen. Im Mittelalter, als die großen Päpste regierten, glaubte es einen Augenblick, sein Ziel, die Oberherrschaft über die Völker, erreicht zu haben. Läge denn nicht die absolute Wahrheit bei einem Papst, der Pontifex und König der Erde zugleich ist, der über die Seelen und über die Körper der Menschen herrscht, wie Gott selbst, dessen Stellvertreter er ist? Dieser ungemessene, aber vollkommen logische Ehrgeiz erfüllte sich in Augustus, dem Kaiser und Pontifex, dem Herrn der Welt. Ja, die immer wieder aus den Ruinen des antiken Rom erstehende, glorreiche Gestalt des Augustus hat die Päpste heimgesucht, das Blut des Augustus war es, das in ihren Adern pochte. Aber bei dem Zusammenbruch des römischen Kaiserreiches hatte sich die Macht halbirt; das Papsttum mußte dem Kaiser die weltliche Herrschaft überlassen und behielt sich nur das Recht vor, ihn im Auftrag Gottes zu salben. Das Volk gehörte Gott. Der Papst gab das Volk im Namen Gottes dem Kaiser und konnte es wieder zurücknehmen. Das war eine grenzenlose Macht, deren furchtbare Waffe der Bann bildete; das war die Oberherrschaft, die dem Papsttum den Weg zur wirklichen und definitiven Besitzergreifung des Reiches bahnte. Kurz, der ewige Kampf zwischen Kaiser und Papst drehte sich um das Volk, das sie einander streitig machten, um die unthätige Masse der Einfältigen und Leidenden, um den großen Stummen, dessen unheilbares Leid nur manchmal durch ein dumpfes Murren verraten wird. Man sprang zu seinem Wohle mit ihm um, wie mit einem Kinde. Aber die Kirche unterstützte thatsächlich die Zivilisation, erwies der Menschheit viele Dienste und spendete reichliche Almosen. Der alte Traum von der christlichen Gemeinde kehrte immer wieder, zum mindesten in den Klöstern: ein Drittel der aufgehäuften Reichtümer wurde für den Kultus bestimmt, ein Drittel für die Priester, ein Drittel für die Armen. Wurde dadurch nicht das Leben vereinfacht? Wurde den Gläubigen nicht durch den Verzicht auf irdische Wünsche, aber die Erwartung der unerhörten, himmlischen Freuden die Existenz ermöglicht? Gebt uns also die gesamte Erde! Wir werden alle Güter hienieden in solche drei Teile teilen und dann werdet ihr sehen, was für ein goldenes Zeitalter herrschen wird, wie alle ergeben und gehorsam sein werden!
Alsdann zeigte Pierre, wie das Papsttum am Ausgange des Mittelalters, der Zeit seiner Allmacht, von den größten Gefahren bedroht wurde. Die Renaissance mit ihrem Luxus und ihrer Sittenverderbnis, mit der überschäumenden Lebenskraft, die aus der ewigen, so lange verachteten und für tot liegen gebliebenen Natur
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