Rom: Band 1
gelangt ist, befriedigt erklärt – der vierte Stand, die Arbeiter, leiden noch immer und fordern noch immer ihr Recht. Man hat sie für frei erklärt, man hat ihnen die politische Gleichheit aufoctroyirt; aber das sind nur trügerische Geschenke, denn jetzt wie früher haben sie nur die Freiheit, Hungers zu sterben. Daraus stammen alle sozialistischen Ansprüche; von nun an tritt das schreckliche Problem, dessen Lösung die gegenwärtige Gesellschaft zu vernichten droht, zwischen der Arbeit und dem Kapital auf. Als die Sklaverei aus der antiken Welt verschwand, um der Löhnung Platz zu machen, war die Revolution ungeheuer. Und ganz gewiß war das Christentum einer der mächtigsten Faktoren, die die Sklaverei zerstörten. Heute handelt es sich darum, die Löhnung durch etwas anderes, vielleicht durch Beteiligung des Arbeiters am Gewinn, zu ersetzen. Warum sollte das Christentum nicht eine neue Aktion versuchen? Dieses verhängnisvolle, bevorstehende Emporkommen der Demokratie ist eine neue Phase der menschlichen Geschichte; die Gesellschaft von morgen ist in der Schöpfung begriffen. Rom konnte sich dagegen nicht ganz interesselos verhalten; das Papsttum mußte in dem Streit irgend eine Partei ergreifen, wenn es nicht wie ein gänzlich nutzlos gewordenes Räderwerk von der Welt verschwinden wollte.
Daraus ging die Legitimität des katholischen Sozialismus hervor. Wenn die sozialistischen Sekten sich von allen Seiten mit ihren Lösungen um das Glück des Volkes stritten, mußte die Kirche mit der ihrigen hervortreten. Hier nun erschien das neue Rom; hier schwang sich die Entwicklung zu einem Frühling unbegrenzter Hoffnung auf. Es stand fest, daß die katholische Kirche im Prinzip nichts gegen die Demokratie hatte. Im Gegenteil, sie brauchte nur zu der evangelischen Tradition zurückzukehren, um wieder die Kirche der Armen und Einfältigen zu werden, um die christliche Universalgemeinde wieder einzusetzen. Ihr Wesen ist demokratisch. Wenn sie sich, als das Christentum zum Katholizismus ward, auf Seite der Reichen und Mächtigen stellte, so gehorchte sie, indem sie ihre erste Reinheit opferte, nur der Notwendigkeit der Selbstverteidigung. Falls sie daher die zum Untergang verurteilten herrschenden Klassen verlassen würde, um zu dem Volke der Unglücklichen zurückzukehren, würde sie sich einfach Christus wieder nähern; sie würde sich verjüngen und sich von den politischen Kompromissen, in die sie sich ergeben mußte, wieder reinigen. Zu allen Zeiten verstand es die Kirche, sich vor den Verhältnissen zu beugen, ohne im geringsten auf ihre Unumschränktheit zu verzichten: sie behält ihre Alleinherrschaft, sie duldet bloß, was sie nicht hindern kann, und wartet geduldig – wenn es auch Jahrhunderte dauern sollte – auf die Stunde, da sie wieder die Herrin der Welt werden wird. Sollte diese Stunde nicht jetzt, in der nahenden Krisis schlagen? Von neuem streiten sich alle Mächte um den Besitz des Volkes. Seit Freiheit und Bildung es zu einer Macht, zu einem seine Rechte mit Bewußtsein und Willenskraft fordernden Wesen gemacht haben, wollen alle Regierenden es besitzen; sie möchten durch das Volk, und wenn es sein muß, mit dem Volk regieren. Der Sozialismus ist die Zukunft, das neue Regierungswerkzeug. Und alles macht in Sozialismus: die auf ihren Thronen schwankenden Könige, die bürgerlichen Oberhäupter unruhiger Republiken, die ehrgeizigen Parteiführer, die von Macht träumen. Alle sind darin einig, daß der kapitalistische Staat die Rückkehr zur heidnischen Welt, zum Sklavenhandel ist; alle sprechen davon, daß man das abscheuliche eiserne Gesetz brechen müsse, das die Arbeit zu einer den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfenen Ware macht, das den Lohn genau nach dem berechnet, was der Arbeiter unumgänglich nötig hat, um nicht Hungers zu sterben. Allein das Uebel wächst, die Arbeiter werden von Not und Verzweiflung gequält, während über ihre Köpfe hinweg die Diskussionen fortgesetzt werden, die Systeme sich kreuzen, der gute Wille sich im Versuchen trügerischer Heilmittel erschöpft. Das ist das Herumtrippeln auf einer Stelle, das ist die närrische Bestürzung, die nahen, großen Katastrophen voranzugehen pflegt. Und zugleich mit den anderen tritt der katholische Sozialismus ebenso feurig wie der revolutionäre Sozialismus auf den Plan und trachtet zu siegen.
Nun folgte eine Studie über die Anstrengungen des katholischen Sozialismus in der ganzen Welt. Dabei war besonders
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