Rom - Band II
Berührung das ewige Heil erwerben konnte! Das Gedränge war so schrecklich, daß die außerordentlichste Verwirrung herrschte und die Schweizer Wache hinwegfegte. Man sah Frauen, die dem Papste nachstürzten, auf allen vieren auf den marmornen Fliesen krochen, um dort seine Spuren zu küssen, um den Staub seiner Schritte zu trinken. Die große, brünette Dame, die am Rande der Estrade niedergefallen war, sank in Ohnmacht, indem sie einen lauten Schrei ausstieß; zwei Herren vom Komite hielten sie, damit sie sich in dem Nervenanfalle, in dem sie sich wand, nicht verletze. Eine andere Dame, eine dicke Blondine, klammerte sich an eine der vergoldeten Armlehnen des Thrones, auf der der dürftige, gebrechliche Ellenbogen des Greises geruht hatte, und verzehrte sie mit rasenden Küssen. Andere bemerkten das, machten sie ihr strittig, bemächtigten sich der beiden Armlehnen, des Sammets und preßten den Mund auf das Holz, auf den Stoff, während ihr Körper von lautem Schluchzen geschüttelt ward. Man mußte Gewalt anwenden, um sie davon loszureißen. Als es zu Ende war, erwachte Pierre wie aus einem drückenden Traum; es schauerte ihn, seine Vernunft empörte sich. Und da begegnete er wieder dem Blicke Monsignore Nanis, der nicht von ihm wich.
»Eine herrliche Zeremonie, nicht wahr?« sagte der Prälat. »Das tröstet für viele Missethaten.«
»Ja, gewiß, aber welche Abgötterei,« murmelte der Priester. Er konnte sich nicht beherrschen.
Monsignore Nani lächelte bloß, ohne das Wort aufzugreifen, als hätte er es nicht gehört. In diesem Augenblicke traten die beiden französischen Damen, denen er Karten gegeben hatte, heran, um ihm zu danken. Pierre erkannte in ihnen zu seiner Ueberraschung die beiden Besucherinnen aus den Katakomben, Mutter und Tochter, die beide so schön, so heiter und so gesund waren. Uebrigens hatten diese Damen sich nur für das Schauspiel begeistert. Sie seien, erklärten sie, sehr froh, das gesehen zu haben; es sei ganz erstaunlich und stünde einzig in der Welt da.
Plötzlich, während die Menge sich langsam verzog, fühlte Pierre, daß jemand ihn an der Schulter berühre, und erblickte Narcisse Hubert. Auch dieser war sehr begeistert.
»Mein lieber Abbé, ich habe Ihnen Zeichen gemacht, aber Sie sahen mich nicht. Nicht wahr, diese brünette Frau war wunderbar, wie sie steif, mit kreuzweise ausgebreiteten Armen hinfiel! Ein Meisterwerk der Primitiven! Ein Cimabue, ein Giotto, ein Fra Angelico! Und die anderen, die die Armlehnen des Thrones mit Küssen verschlangen – was für eine Gruppe von Anmut, Schönheit und Liebe ... Ich fehle nie bei diesen Zeremonien. Es gibt immer ganze Seelengemälde und -schauspiele zu sehen.«
Die ungeheure Flut der Pilger floß langsam, noch von dem Schauer des brennenden Fiebers geschüttelt, die Treppe hinab. Pierre, gefolgt von Monsignore Nani und Narcisse, die mit einander zu sprechen begonnen hatten, dachte nach, während der Aufruhr der Gedanken in seinem Gehirn tobte. Gewiß, es war etwas Großes und Schönes um diesen Papst, der sich in seinem Vatikan eingemauert hatte, der in der Anbetung und der heiligen Ehrfurcht der Menschen immer höher stieg, je mehr er ein reiner Geist, eine rein moralische, von aller weltlichen Sorge befreite Macht ward. Es lag darin etwas Vergeistigtes, ein Aufschwung ins Ideale, die ihn tief bewegten; denn sein Traum von einem verjüngten Christentum beruhte ja auf dieser geläuterten, rein geistigen Macht des höchsten Hauptes. Er hatte eben festgestellt, was dieser Papst des Jenseits dadurch an Majestät und Macht gewann – dieser Papst, zu dessen Füßen die Frauen ohnmächtig wurden, weil sie hinter ihm Gott sahen. Aber in derselben Minute fühlte er, wie sich mit einemmale die Geldfrage erhob und seine Freude verdarb. Wenn auch das notgedrungene Aufgeben der weltlichen Macht den Papst größer gemacht hatte, indem es ihn von den Schwierigkeiten eines unablässig bedrohten, kleinen Königs befreite, so blieb doch das Bedürfnis nach Geld noch wie ein Bleigewicht an seinen Füßen hängen und fesselte ihn an die Erde. Da er die Subvention des italienischen Königreiches nicht annehmen konnte, hätte die wirklich rührende Idee des Peterspfennigs den Heiligen Stuhl vor jeder materiellen Sorge retten müssen: unter der Bedingung freilich, daß dieser Peterspfennig in Wirklichkeit der Heller des Katholiken, das Scherflein jedes Gläubigen sei, das von dem täglichen Brote abgespart, direkt nach Rom geschickt wird, direkt
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