Rom kann sehr heiss sein
ihrer Funktion so wenig angemessen ist wie der Kölner Dom. Das ist kein Haus Gottes, hier hat er nie gewohnt, wahrscheinlich, weil ihm dieses Appartement zu groß ist. Vielleicht liegt die Wirkung auch daran, dass dieser wuchtige Bau in einem falschen Ambiente steht. Die Betonplatte, auf der man ihn präsentiert, wirkt wie ein Tablett, oder wie eine Startrampe eben. Wie anders kommt da ein Dom wie der in Metz zur Geltung, weil er über einen würdigen Standplatz verfügt, aus dem seine Silhouette herauszuwachsen vermag wie eine magische Pflanze, die einem Licht entgegenstrebt, das zugleich in ihr ist. So kommt es, dass man die herrlichen Kirchenfenster im Dom zu Metz wie Öffnungen erlebt, die den Blick auf eine außerirdische Welt erahnen lassen, mystisch, unendlich tief und voller sanfter Farben der Erlösung. Die Fenster des Kölner Doms hingegen versperren den Blick. Sie gehen auf nichts hinaus, und das Tageslicht, das sie mühsam filtern, ist das einer lärmenden Stadt.
Endlich saß ich im Zug. Ich hatte kein Reisegepäck mitgenommen. Irgendwie wäre mir eine Zahnbürste oder ein Schlafanzug frivol vorgekommen. Nur für eines sorgte ich jetzt. Ich rief von meinem Mobiltelefon aus Franz Gala an und kündigte meine Ankunft in Bern für kurz nach fünfzehn Uhr an. Gala sagte, er würde sich außerordentlich über meinen Besuch freuen und mich selbstverständlich am Bahnhof abholen.
3. Franz Gala
Als ich total übermüdet in der Schweizer Hauptstadt ankam, in dieser grau-grünen Meerstadt ohne Meer, die so geträumt anmutet, dass man sie leicht für eine Illusion halten kann, war mein erster Eindruck, hier könnten überhaupt keine Verbrechen, zumindest keine grausamen geschehen. Überall gedeckte Farben, milde Grau- und Grüntöne, sanftes Rot. Alles von unspektakulärer Eleganz. Selbst die Penner schienen modischer gekleidet als anderswo, und die Punker wirkten wie geschmacklos arrangierte Schaufensterpuppen. Eine Welt, die den nostalgischen Eindruck einer leicht vergilbten Illustration aus einem alten Baedeker machte. Auch der Himmel passte sich an mit ein paar elefantengrauen Regenwolken vor einem Hintergrund aus blauem Satin. Und als die ersten dezenten Regentropfen fielen, begriff ich, dass man trotzdem nicht nass werden musste, dank der alle Straßenzüge begleitenden Arkaden, in deren Halbdunkel sich kleine Geschäfte voller kreativ dekorierter Kostbarkeiten aneinander reihten.
Das Einzige, was mir aufgefallen war, weil es weniger dezent wirkte als alles andere, war das Lächeln einer Frau auf dem Bahnsteig. Sie war jung und sah sehr gut aus. Ihre langen, glatten Haare waren frisch gewaschen. Sie war einfach gekleidet in Jeans und einen blauen Parka. Sie blickte nach oben und schien an etwas Schönes zu denken, denn sie hörte nicht auf zu lächeln. Vielleicht war es das Kind, das hinter der kleinen Wölbung ihres Bauches in ihr wuchs. Ich ging. Als ich mich umdrehte, lächelte sie immer noch. Ihre beiden Hände lagen behutsam gefaltet über ihrem Bauch.
Bern gleicht, zumindest was den mittelalterlichen Kern anbelangt, einer Insel, genauer gesagt, einer Halbinsel, die sich in einer Aareschleife erhebt, eindrucksvoll und ziemlich unzugänglich für den Fremden. Die Ufer sind steil, die Bebauung so eng und grau und kompakt und die Straßen so schmal, dass man meinen könnte, sich in einem unwegsamen Felslabyrinth zu befinden. Bern ist sauber und ordentlich. Dennoch gibt es offenbar recht viel skurrile Leute hier. Käuze, die sich der berüchtigten Schweizer Normalität durch Querköpfigkeit entziehen. In einem der Brückenhäuschen der Nydeggbrücke zum Beispiel wohnt ein Pianist, der mitten im Rauschen der Aare und des Verkehrs Bach spielt. Ein Uhrmacher baut Uhren ohne Zeiger und Zifferblatt, die er in seinem kleinen Laden in den Arkaden – oder Lauben, wie man hier sagt – ausstellt. Im unteren Teil der Stadt, der »Matte«, sprechen immer noch einige Leute eine silbenverdrehende Geheimsprache, das so genannte Mattenenglisch, das jedoch eher ans Holländische erinnert. Hier sind die Lauben so niedrig, dass man gebückt laufen muss, selbst wenn man nicht so groß ist wie ich. Die Läden sind noch seltsamer als in der Oberstadt. Zwei Bernhardiner sitzen im Schaufenster der Praxis einer Geruchs- und Farbentherapeutin. Gleich daneben sieht man durch die Scheibe das »Grab der ungelesenen Anzeigen«. Ein leerer, mit Zeitungsannoncen tapezierter Raum, in dem eine einzelne, von einem Spotlight
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