Roman
im Takt wiegen, gefangen in Gedanken an die, die sie verloren haben. Ich schlucke den letzten warmen Schluck Bier hinunter und wünschte, ich hätte noch eine Flasche.
Das Lied endet. Applaus brandet auf. Ich schalte das Radio aus, ehe eine andere Stimme den Platz des Sängers einnehmen kann. Dessen ansteckende Rastlosigkeit prickelt unter meiner Haut und vertreibt meine Müdigkeit. Ich kann mich jetzt nicht ins Bett legen. Selbst die weichen, kühlen Laken würden meine Nerven blank scheuern.
Ich ziehe die Rollos hoch und spähe aus dem Fenster. Sherwoods stille Straßen locken mich hinaus, flehen mich an, eine letzte Runde zu drehen, ehe das normale Leben einen einschnürt wie eine Zwangsjacke.
In einem immer schneller werdenden Rhythmus klopfe ich mit den Fingernägeln auf die hölzerne Fensterbank und warte auf jemanden, irgendjemanden, der vorbeigeht. Aber in einer kleinen Stadt wie dieser gibt es um diese Uhrzeit auf Bürgersteigen und engen Nebenstraßen keine Beute.
Im Übrigen gehe ich immer weit fort von zu Hause auf die Jagd.
2
Won’t Get Fooled Again
Mein Schreibtisch im Büro ist leer, oben auf der Platte ebenso wie in den Schubfächern. Ich sollte vielleicht nicht zu viel von meinem ersten Arbeitstag erwarten. Aber wie soll man den amerikanischen Traum von maximaler Produktivität erfüllen ohne einen Computer – oder ohne einen Stift?
David schien erleichtert, mich zu sehen, als ich vor wenigen Minuten hereinschneite. Aber dann musste er ins Studio hinunterrennen, um auf ein anderes Programm umzustellen. Mich ließ er aufgaben- und stiftlos zurück.
Meinem Arbeitsplatz gegenüber steht ein niedriger Metallschrank. Auf ihm befinden sich ein antikes Faxgerät und das eingerahmte Griffbrett einer Gitarre, die Pete Townsend höchstpersönlich zertrümmert haben soll. Ich mache mich auf zum Schrank; die Sohlen meiner Sandalen klatschen beim Gehen auf den naturbelassenen Hartholzboden.
Die Schranktüren öffnen sich quietschend und geben den Blick auf jede Menge Kartons mit Büromaterial frei. Volltreffer! Das ist ja wie Shoppen, ohne bezahlen zu müssen.
Während ich mich durch hauptsächlich leere Kartons arbeite, nimmt mein Enthusiasmus deutlich ab. Jetzt fühlt sich dieser Job an wie Shoppen in der alten Sowjetunion.
Schwere Schritte sind auf der Treppe hinter mir zu hören; jemand hat sich auf den mühsamen Weg nach oben gemacht. »Wir haben Stifte in allen Farben – schwarz, schwarz und schwarz.«
Ich drücke die Schranktür weiter auf und kann nun einen blassen, dicklichen Mann mit blondem Haar dabei beobachten, wie er auf den anderen Schreibtisch zugeht. Er reißt die aktuelle Seite des Oscar-Wilde-Kalenders ab und liest das Zitat des Tages. »Hmm.« Offenkundig ist es nicht eines von Oscars witzigeren Bonmots.
»Sie müssen Frank sein.« Ich versuche, mich so geschäftsmäßig zu geben, wie ich angesichts auf den Boden klatschender Sandalen nur kann, gehe zu ihm hinüber und strecke ihm die Hand entgegen.
Seine Mundwinkel wandern nach unten. Es wirkt, als sei dies ihr naturgegebener Platz. »Eigentlich Franklin.« Er stellt den Kalender wieder zurück auf den Schreibtisch. »Aber alle nennen mich immer nur Frank, auch wenn mir das gar nicht passt.«
»Ich habe dasselbe Problem.«
Zum ersten Mal sieht er mir direkt in die Augen. »Jeder nennt Sie Frank?« Er sagt das so trocken und ausdruckslos, dass der Witz schon durch den Fußboden geschlagen und im Keller gelandet ist, ehe ich auf die Idee komme zu lachen.
»Ich meinte, dass alle meinen Namen falsch aussprechen.«
Frank(lin) wirft einen Blick auf meinen Lebenslauf, den David wohl für ihn auf den Schreibtisch gelegt hat. »Was ist so schwierig an ›Ciara‹?«
Er spricht den Namen richtig aus: Kih-rah. Wir werden sicher die besten Freunde.
Endlich schüttelt Franklin mir die Hand. Er ist größer und jünger, als ich zuerst gedacht habe. Seine lässige, etwas eingesackte Körperhaltung hatte mich in die Irre geführt. Er ist bestimmt 1,85 m groß und sicher nicht älter als Mitte dreißig. Seine Kleidung – unter dem grauen Jackett ein geschäftsmäßiges Oberhemd und eine blau-schwarze Krawatte – sieht ordentlich aus. Aber alles hängt irgendwie lustlos an ihm, so, als sei er zufällig an diese Kleidungsstücke geraten. Vielleicht fehlt Franklin auch einfach nur eine Dosis Koffein.
»Soll ich Ihnen eine Tasse Kaffee bringen?«
Er seufzt und verdreht die Augen. »Setzen Sie sich!« Er zeigt auf den Besuchersessel,
Weitere Kostenlose Bücher